Eil­ver­fah­ren vor den Sozi­al­ge­rich­ten

Die Zulas­sung eines Arz­nei­mit­tels in Deutsch­land erfor­dert eine sys­te­ma­ti­sche Bewer­tung prä­kli­ni­scher und kli­ni­scher Daten, um die Sicher­heit, Wirk­sam­keit und Qua­li­tät des Arz­nei­mit­tels zu gewähr­leis­ten.

Nach der „Prä­kli­ni­sche For­schung“ die eine Erfor­schung der Wirk­me­cha­nis­men in vitro (z.B. Zell­kul­tu­ren) und in vivo (z.B. Tier­mo­del­le) Stu­di­en beinhal­tet, wer­den kli­ni­sche Stu­di­en vor­ge­nom­men. Die­se sind in ver­schie­de­ne Pha­sen unter­teilt:

  • Pha­se I: Nor­ma­ler­wei­se an gesun­den Frei­wil­li­gen durch­ge­führt, zielt die­se Pha­se dar­auf ab, die Sicher­heit, Ver­träg­lich­keit und Dosie­rung des Medi­ka­ments zu bestim­men.
  • Pha­se II: In die­ser Pha­se wird das Medi­ka­ment an einer begrenz­ten Zahl von Pati­en­ten getes­tet, um sei­ne Wirk­sam­keit und Sicher­heit zu eva­lu­ie­ren und eine opti­ma­le Dosie­rung zu bestim­men.
  • Pha­se III: Groß ange­leg­te, ran­do­mi­sier­te und oft pla­ce­bo­kon­trol­lier­te Stu­di­en an einer grö­ße­ren Grup­pe von Pati­en­ten, um die the­ra­peu­ti­sche Wirk­sam­keit, rela­ti­ve Sicher­heit und uner­wünsch­te Ereig­nis­se tat­säch­lich zu bewer­ten.
  • Pha­se IV: Nach der Zulas­sung durch­ge­führ­te Stu­di­en zur Über­wa­chung der lang­fris­ti­gen Sicher­heit und Wirk­sam­keit, Iden­ti­fi­zie­rung sel­te­ner Neben­wir­kun­gen und Ver­gleich mit ande­ren Behand­lun­gen.

Die gesam­mel­ten Daten aus prä­kli­ni­schen und kli­ni­schen Stu­di­en wer­den dann zusam­men mit dem Antrag auf Zulas­sung des Medi­ka­men­tes dem Bun­des­in­sti­tut für Arz­nei­mit­tel und Medi­zin­pro­duk­te (BfArM) oder dem Paul-Ehr­lich-Insti­tut (PEI) vor­ge­legt. Dort wird eine gründ­li­che wis­sen­schaft­li­che Bewer­tung der ein­ge­reich­ten Daten durch­ge­führt, wobei sie das Nut­zen-Risi­ko-Pro­fil des Medi­ka­ments beur­tei­len.

Nun gibt es immer wie­der Fäl­le, in denen Ärz­te bei der täg­li­chen Anwen­dung oder das Phar­ma-Unter­neh­men selbst im Rah­men der oben genann­ten Stu­di­en Wirk­me­cha­nis­men der Medi­ka­men­te fest­stel­len, die das eigent­li­che Ziel der arz­nei­mit­tel­recht­li­chen Zulas­sung nicht tref­fen. Die Medi­ka­men­te erwei­sen sich bei ande­ren Erkran­kun­gen unter Umstän­den als eben­falls hilf­reich, obwohl in die betref­fen­de Ziel­rich­tung kei­ne Stu­di­en betrie­ben und kein Zulas­sungs­ver­fah­ren ein­ge­lei­tet wur­de.

Wer­den die­se Medi­ka­men­te dann außer­halb des eigent­li­chen Krank­heits­ge­bie­tes, für das sie zuge­las­sen sind, auch für ande­re Erkran­kun­gen ver­ab­reicht, so bezeich­net man die­se Ver­wen­dung eines Medi­ka­men­tes als »Off-Label-Use«. Off-Label-Use bezeich­net also die Ver­wen­dung eines Medi­ka­ments für einen nicht von der zustän­di­gen Zulas­sungs­be­hör­de geneh­mig­ten Gebrauch. Dies kann unter­schied­li­che Aspek­te betref­fen:

Kran­ken­kas­sen in Deutsch­land sind ver­pflich­tet, wirt­schaft­lich zu han­deln und dür­fen nur für Leis­tun­gen zah­len, die not­wen­dig und zweck­mä­ßig sind. Bei zuge­las­se­nen Arz­nei­mit­teln ist dies für den zuge­las­se­nen Anwen­dungs­be­reich geklärt. Bei einem Off-Label-Use kann es hin­ge­gen zu Unsi­cher­hei­ten bezüg­lich der Wirk­sam­keit und Sicher­heit und damit ein­her­ge­hend zu Unsi­cher­hei­ten hin­sicht­lich der Kos­ten­über­nah­me durch die Kran­ken­kas­sen kom­men.

Kran­ken­kas­sen sind dann ver­pflich­tet, auch die Kos­ten einer Medi­ka­men­ten Anwen­dung im Off-Label-Use zu tra­gen, wenn das Medi­ka­ment inner­halb der Arz­nei­mit­tel-Richt­li­nie Anl. VI ent­spre­chend auf­ge­führt ist, wenn es im Rah­men einer zuge­las­se­nen kli­ni­schen Stu­die ein­ge­setzt wird oder damit eine schwer­wie­gen­de lebens­be­droh­li­che oder die Lebens­qua­li­tät auf Dau­er nach­hal­tig beein­träch­ti­gen­de Erkran­kung behan­delt wird, für die kei­ne ande­re The­ra­pie ver­füg­bar ist und bei der auf­grund der Daten­la­ge die begrün­de­te Aus­sicht besteht, dass mit dem betref­fen­den Prä­pa­rat ein Behand­lungs­er­folg, koope­ra­tiv oder pal­lia­tiv, erzielt wer­den kann (Bun­des­so­zi­al­ge­richt, Urteil vom 19.03.2002, Az. B 1 KR 37/00R).

Im letzt­ge­nann­ten Fall der Pati­ent somit also an einer schwer­wie­gen­den lebens­be­droh­li­chen oder die Lebens­qua­li­tät auf Dau­er nach­hal­tig beein­träch­ti­gen Erkran­kung lei­den und er muss nach­wei­sen, dass ande­re zuge­las­se­ne The­ra­pie­op­tio­nen nicht infra­ge kom­men, sei es, weil sie nicht ver­füg­bar sind, bereits aus­pro­biert wur­den oder kon­tra­in­di­ziert sind.

Fer­ner muss nach­ge­wie­sen wer­den, dass auf­grund einer ent­spre­chen­den Daten­la­ge die begrün­de­te Aus­sicht auf »Wirk­sam­keit« des Medi­ka­men­tes besteht. Am ehes­ten gelingt die­ser Nach­weis, wenn es schon Stu­di­en gibt, die den Nut­zen des Medi­ka­ments im Off-Label-Use bele­gen. Die­se Stu­di­en müs­sen jedoch hin­rei­chend qua­li­ta­tiv und aus­sa­ge­kräf­tig sein.

Erfor­der­lich ist ein ent­spre­chen­der Antrag bei der eige­nen Kran­ken­kas­se. Um eine zügi­ge Ent­schei­dung zu errei­chen, soll­te der Antrag klar for­mu­liert sein und alle rele­van­ten Infor­ma­tio­nen und Doku­men­te (wie das ärzt­li­che Attest) ent­hal­ten. In die­sem ärzt­li­chen Attest soll­te der behan­deln­de Arzt detail­liert beschrei­ben:

  • War­um das Medi­ka­ment benö­tigt wird
  • War­um ande­re The­ra­pie­op­tio­nen nicht geeig­net sind
  • Wel­che Stu­di­en oder wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­se den Off-Label-Use unter­stüt­zen

Die Kran­ken­kas­se wird sodann in den meis­ten Fäl­len den Medi­zi­ni­sche Dienst der Kran­ken­kas­se hin­zu­zie­hen, um den medi­zi­ni­schen Sach­ver­halt zu prü­fen. Es ist wich­tig, für die­sen Fall alle rele­van­ten Unter­la­gen und Bele­ge vor­be­rei­tet zu haben. Lei­der zeigt die Erfah­rung, dass die spe­zia­li­sier­ten Kennt­nis­se des behan­deln­den Arz­tes, der den Off-Label-Use eines Medi­ka­men­tes vor­schlägt, die spe­zi­el­le medi­zi­ni­schen Kennt­nis­se des Medi­zi­ni­schen Diens­tes der Kran­ken­kas­sen signi­fi­kant über­steigt. Dies soll kein Vor­wurf gegen­über dem Medi­zi­ni­schen Dienst der Kran­ken­kas­sen sein. Es ist viel­mehr die Beschrei­bung des Infor­ma­ti­ons­ge­fäl­le des zwi­schen dem Spe­zia­lis­ten, dem behan­deln­den Arzt, und dem Gene­ra­lis­ten, dem Arzt des Medi­zi­ni­schen Diens­tes, der dann den Fall prü­fen soll.

Lehnt der Medi­zi­ni­sche Dienst der Kran­ken­kas­sen den auf-Label-Use ab, so wird die Kran­ken­kas­se die­sem Votum erfol­gen und einen ableh­nen­den Bescheid erlas­sen.

Gegen die­sen Bescheid muss zwin­gend Wider­spruch erho­ben wer­den. Indes nimmt das Wider­spruchs­ver­fah­ren min­des­tens Wochen, wenn nicht sogar Mona­te in Anspruch. Führt auch das Wider­spruchs­ver­fah­ren nicht zum gewünsch­ten Ergeb­nis, wird ein Kla­ge­ver­fah­ren vor den zustän­di­gen Sozi­al­ge­rich­ten erfor­der­lich.

Die Dau­er eines Gerichts­ver­fah­rens beim Sozi­al­ge­richt kann stark vari­ie­ren und hängt von ver­schie­de­nen Fak­to­ren ab, wie z.B. der Kom­ple­xi­tät des Fal­les, der Aus­las­tung des Gerichts oder der Ver­füg­bar­keit von Beweis­mit­teln. Eini­ge Ver­fah­ren kön­nen inner­halb weni­ger Mona­te abge­schlos­sen sein, ande­re kön­nen sich über meh­re­re Jah­re hin­zie­hen.

Wenn es beson­ders drin­gend ist und ein berech­tig­tes Inter­es­se an einer schnel­len Ent­schei­dung besteht, kann und soll­te ein »Eil­ver­fah­ren« (auch als »einst­wei­li­ge Anord­nung« bezeich­net) beim Sozi­al­ge­richt ein­ge­lei­tet wer­den. Ein sol­ches Eil­ver­fah­ren kommt ins­be­son­de­re dann in Betracht, wenn ohne eine schnel­le gericht­li­che Ent­schei­dung schwe­re und unzu­mut­ba­re Nach­tei­le ent­ste­hen wür­den.

Gewich­ti­ger Grund für ein Eil­ver­fah­ren kann ins­be­son­de­re eine aku­te gesund­heit­li­che Gefähr­dung ohne die bean­trag­te Leis­tung sein:

Beim Antrag auf einst­wei­li­ge Anord­nung ist es erfor­der­lich, die beson­de­re Eil­be­dürf­tig­keit und den Anspruch auf das Medi­ka­ment detail­liert und über­zeu­gend dar­zu­le­gen.

Die Eil­be­dürf­tig­keit ergibt sich aus einer ansons­ten ein­tre­ten­den Gesund­heits­ge­fähr­dung. Das Sozi­al­ge­richt prüft in die­sen Fäl­len regel­mä­ßig indes auch, ob es zumut­bar und mög­lich ist, dass für den Off-Label-Use begehr­te Medi­ka­ment zunächst selbst zu finan­zie­ren. Es wird also erfor­der­lich sein, die eige­nen finan­zi­el­len Ver­hält­nis­se offen­zu­le­gen. Sehr ver­mö­gend genug ist, das betref­fen­de Medi­ka­ment zunächst vor­zu­fi­nan­zie­ren, wird auf die­sem Weg ver­wie­sen und damit auf das lang dau­ern­de sozi­al­ge­richt­li­che Haupt­sa­che­ver­fah­ren ver­wie­sen. Wer hin­ge­gen nicht über die nöti­gen finan­zi­el­len Mit­tel ver­fügt und bei dem eine Ver­schlech­te­rung des Gesund­heits­zu­stan­des droht, hat schon ein­mal die Eil­be­dürf­tig­keit dar­ge­legt.

Im Wei­te­ren ist dann der Anspruch auf das Medi­ka­ment dar­zu­le­gen. Es ist also dar­zu­le­gen, mit die­sem Medi­ka­ment eine schwer­wie­gen­de lebens­be­droh­li­che oder die Lebens­qua­li­tät auf Dau­er nach­hal­tig beein­träch­ti­gen­de Erkran­kung behan­delt wird, für die kei­ne ande­re The­ra­pie ver­füg­bar ist und bei der auf­grund der Daten­la­ge die begrün­de­te Aus­sicht besteht, dass mit dem betref­fen­den Prä­pa­rat ein Behand­lungs­er­folg, koope­ra­tiv oder pal­lia­tiv, erzielt wer­den kann (sie­he oben).

In einem Eil­ver­fah­ren ent­schei­det das Sozi­al­ge­richt in der Regel deut­lich schnel­ler als im regu­lä­ren Ver­fah­ren. Oft­mals kann eine Ent­schei­dung schon inner­halb weni­ger Wochen getrof­fen wer­den. Es han­delt sich dabei indes um eine vor­läu­fi­ge Ent­schei­dung, die das eigent­li­che Haupt­ver­fah­ren nicht ersetzt, aber sicher­stellt, dass dem Antrag­stel­ler in der Zwi­schen­zeit nicht unzu­mut­ba­re Nach­tei­le ent­ste­hen. Häu­fig wird daher im Rah­men eines Eil­ver­fah­rens die Ver­pflich­tung der Kran­ken­kas­se zur Kos­ten­über­nah­me zeit­lich begrenzt.

Wir ver­fü­gen über die erfor­der­li­chen Kennt­nis­se und Erfah­run­gen auch und ins­be­son­de­re in der­ar­ti­gen Eil­ver­fah­ren, um Ihre Inter­es­sen gegen­über den Kran­ken­kas­sen und in gericht­li­chen Ver­fah­ren vor den Sozi­al­ge­rich­ten in den Fra­gen eines Off-Label-Use von Medi­ka­men­ten zu ver­tre­ten.

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Ja, ich habe die Daten­schutz­er­klä­rung zur Kennt­nis genom­men und bin mit Absen­den des Kon­takt­for­mu­la­res mit der elek­tro­ni­schen Ver­ar­bei­tung und Spei­che­rung mei­ner Daten ein­ver­stan­den. Mei­ne Daten wer­den dabei nur streng zweck­ge­bun­den zur Bear­bei­tung und Beant­wor­tung mei­ner Anfra­ge benutzt.

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