Wenn in einer Gruppe eine deutliche Anzahl eher konfliktvermeidend agiert, entsteht eine Kultur der Konfliktunterdrückung, der es an Kreativität und neuen Impulsen fehlt. Im entgegengesetzten Fall einer streitlustigen Gruppe wird häufig und über alles so intensiv gestritten, dass jegliche Gemeinschaft nicht mehr vorhanden ist.
Um diese Diskrepanzen zu vermeiden, muss jeder einzelne und eine Gemeinschaft daran arbeiten, konfliktfähig zu werden.
Dies kann für jeden einzelnen dadurch erreicht werden, dass er seine Phantasie, die er zu erlebten und noch zu erlebenden Konflikten hat, kritisch überprüft.
Konfliktscheue Personen befürchten, dass sie durch aggressives Verhalten gefühllos wirken und andere verletzen. Daher unterdrücken sie ihre Gefühle und ziehen sich zurück. Sie überschätzen den Schaden eines konfrontativen Verhaltens und können durch übertriebene Phantasien erarbeiten, dass Konflikte nicht die negative Wirkung für sie haben, die sie sich vorstellen.
Streitlustige Menschen möchten sich dagegen nicht zu nachgiebig zeigen und nicht für unsicher gehalten werden. Daher zeigen sie Emotionen offen und nehmen bei sich und bei ihrem Gegenüber lieber Verletzungen in Kauf, als dass sie sich zurückziehen. Sie unterschätzen die zerstörerischen Wirkungen ihres konfrontativen Verhaltens durch kritische Überprüfung ihrer Phantasievorstellungen. Es ist ihr Weg zur Mitte und Ausgeglichenheit, weniger konfliktträchtig zu agieren.
II. Schritte der Umsetzung
Wie kann es ich es bei dieser in beispielhaften Aspekten dargestellten Ausgangssituation erreichen, jemandem das zu sagen, was mich an ihm stört, ohne ihn zu verletzen?
Die Schritte hierzu sind sowohl in einer Zweierbeziehung als auch in einer Gruppe letztendlich identisch. Sie können in Rollenspielen erlebt und damit erlernt werden. Im ersten Schritt ist es bereits hilfreich, „Sensoren für taktvolle Direktheit“ aufzubauen und damit letztendlich ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wo die Stellschrauben liegen und damit die Mittel für nicht verletzende Kritik:
1. Ich-Botschaften
Wenn Spannungen auftreten, sollten sie angesprochen werden. Dieses Ansprechen erfolgt am besten in der Form sog. „Ich-Botschaften“ und damit nicht durch sog. „Du-Botschaften“. Für konfliktscheue Personen ist dies ein Schritt, der Überwindung kostet.
Bei auftretenden Konflikten frage ich mich, wie ich diese wahrnehme, was ich dabei fühle und dies spreche ich sodann an, indem ich mitteile, wie ich mich fühle und was mich bewegt.
Durch diese Ich-Botschaften
- bringe ich meine eigene Mitverantwortung für die vorhandene Situation zum Ausdruck;
- fordere ich von meinem Gegenüber nichts und fühlt sich mein Gegenüber durch meine Aussage auch nicht negativ bewertet,
- sondern bewirkt diese Ich-Botschaft ein gegenseitiges Sich-Öffnen.
2. Konsens über sog. „Un-Werte“
In den neun Eskalationsstufen von Friedrich Glasl beginnt die Eskalation mit der Kommunikationsstörung in Form einer Verhärtung und führt über persönliche Angriffe zu Vernichtungsschlägen. Dieser Eskalationsdynamik kann man bereits in der ersten Stufen entgegentreten, indem man seine „Un-Werte“ klar kommuniziert und damit dem Gegenüber erklärt, dass man sich selbst Grenzen setzt und es einem nicht egal ist, ob und wie sich der Konflikt weiter entwickelt.
Die Wirkung dieser Aussage ist, dass ich mögliche Angstphantasien bei meinem Gegenüber entkräfte und bei ihm erreichen kann, dass auch er sich in die Richtung äußert, mit dem bisherigen Verlauf nicht zufrieden zu sein. Es kann in einem ersten Zwischenschritt die Gemeinsamkeit darüber erreicht werden, was es unbedingt zu vermeiden gilt.
Identisch bei der Äußerung von „Ich-Botschaften“ und „Un-Werten“ ist, dass keine Kritik am Gegenüber unmittelbar geäußert wird. Beide Methoden gelingen letztendlich nur und haben darin auch ihre Wirkung, dass ich authentisch meine Gefühle äußere. Dies wiederum setzt aber voraus, dass ich mich selbst mit meinen eigenen Gefühlen auseinandergesetzt habe und sie kenne. Andernfalls kann ich darüber nicht mit meinen Mitmenschen reden. Insofern sind Konflikte und die damit verbundenen Möglichkeiten der Konfliktauseinandersetzung auch ein Weg der Selbsterkenntnis für alle Beteiligten.
3. Achtsamkeit in der Wortwahl
Etwas direkt zu sagen, dient der Klarheit. Von der Direktheit ist es aber immer nur ein kurzer Weg zu einem rauen Ton und in der Dynamik von Konflikten geht zumeist jedes Taktgefühl verloren. Damit ist ein weiter zu berücksichtigender Schritt etwas Selbstverständliches: Die Worte der Kritik so zu wählen, dass sie keine Abwertung meines Gegenüber beinhalten.
Auch die Folgen einer Abwertung sind jedem geläufig, da man sie zumeist selbst schon erlebt hat. Man sollte sie sich jedoch immer wieder ins Bewusstsein rufen. Werde ich in einem Gespräch gekränkt, verlasse ich noch während des Gesprächs die Ebene der Sachargumentation und beschäftige mich während mein Gegenüber noch weiter spricht nur noch mit der Frage, wie ich mich persönlich verteidigen kann. Ein Zuhören ist nicht mehr möglich bzw. findet nicht mehr statt. Schulz von Thun (Miteinander reden: 2, S. 276) stellt die Situation sehr prägnant dar, indem er die Frage aufwirft, was mein Ziel in einem Gespräch ist. Er vertritt den Standpunkt, dass wir – erfasst von einer aggressiven Stimmung – gar nicht mehr überzeugen wollen, sondern möglicherweise den Wunsch haben, unser Gegenüber für seine Haltung und seinen unseres Erachtens falschen Standpunkt zu bestrafen. Man kann aber in einem Gespräch nicht beides haben: Überzeugen und bestrafen. Insofern müssen wir uns entscheiden. Zur Konfliktvermeidung kann die Lösung nur darin liegen, Wort und Verhalten so zu wählen, um zu überzeugen (und nicht zu bestrafen).
4. Phantasien ansprechen
Insbesondere unter Personen, die sich länger kennen und viel miteinander erlebt haben, spielt neben Aussagen und Handlungen eine erhebliche Rolle in der Kommunikation auch die Phantasie, die sie in ihrem Kopf über ihre Mitmenschen haben. Dabei müssen wir uns im Klaren sein, dass Phantasien zum einen richtig oder falsch sein können und diese Phantasien über den anderen nur in mir vorhanden sind.
Insofern bergen Phantasien die Gefahr in sich, dass ein Kontakt unterbrochen wird und/oder die Kommunikation – für den anderen aus nicht erkennbarem Grunde – gestört ist. Indem ich meine Phantasien als zutreffend zugrunde lege und für mich behalte, unterbreche ich den Kontakt zu meinem Gegenüber, da ich in dem von mir selbst von ihm geschaffenen Bilde lebe. Die weitere Folge dieser ungeprüften und unausgesprochenen Phantasien kann letztendlich die sich selbst erfüllende Prophezeiung sein.
Daher kann auch an dieser Stelle der Weg nur darin liegen, die Phantasie einer Realitätsüberprüfung zu unterziehen und sie gegenüber dem Betreffenden anzusprechen und damit zu fragen (und zu erfahren), ob die Gedanken und Gefühle , die ich über mein Gegenüber habe und die mich beunruhigen, zutreffend sind oder nicht.
5. Rollen- bzw. Perspektivwechsel
Ein erster wichtiger Schritt ist die Erkenntnis, dass es keine objektive Wahrheit gibt. Der Taube wird die Tanzenden immer für Verrückte halten (Jorge Bucay). Jeder hat von sich, seinen Mitmenschen und der Welt eine eigene Wahrnehmung und hält diese für richtig. Wir erzeugen Bilder von uns und unseren Mitmenschen und diese entsprechen nicht einer objektiven Wirklichkeit. In Konflikten kommt der Umstand hinzu, dass wir als selektiv nur das wahrnehmen, was uns in unserem Feindbild und in der positiven Selbstbestätigung von uns bestärkt.
Ein weiterer Schritt in dieser Thematik ist es, mich selbst mit den Selbst- und Fremdbildern zu konfrontieren. Dies ist sowohl in Konflikten in Zweierbeziehungen als auch in Gruppen umsetzbar. In einem ersten Schritt schreibe ich auf, wie ich mich bzw. die Gruppe sich sieht und wie ich/wir unser Gegenüber sehen. Den gleichen Schritt vollzieht auch der Konfliktpartner. In einem gemeinsamen Treffen tauschen wir uns gegenseitig aus, wie wir uns gegenseitig sehen und damit von welchen Aspekten und Bewertungen das jeweilige Fremdbild geprägt ist. Dies wird gemeinsam diskutiert und erklärt.
In einem dritten Schritt stelle ich mir selbst oder meine Gruppe die Frage, warum mein Gegenüber mich so sieht, was ich selbst dazu beigetragen habe und was ich ändern muss, damit dieses Bild nicht weiter besteht.
III. Ziele
Bereits mit der Überschrift zum Ausdruck gebracht, wird das Endziel, das wir erreichen wollen: Kritisieren ohne zu kränken. Die Zwischenschritte, die dazu hinführen, sollten wir uns kurz zusammengefasst bewusst sein:
- Keine Abwertung meines Gegenübers/Konfliktpartners auf der Beziehungsseite;
- Vermeidung, dass in Diskussionen/Verhandlungen die Energie dafür vergeudet wird, mich selbst rehabilitieren, verteidigen zu müssen;
- das Bewusstsein, dass Diskussion mit unterschiedlichen Standpunkten (unabhängig vom Grad der aufgetretenen Emotionen) den Zweck haben, zu überzeugen und nicht zu bestrafen.
IV. Zusammenfassung der einzelnen Schritte
Konflikte und Spannungen fallen nicht vom Himmel, sondern werden wahrgenommen und in dem Augenblick, in dem ich sie wahrnehme, habe ich Zeit genug, mich mit ihrer Existenz und der Frage, wie ich sie lösen kann auseinanderzusetzen. Diese Zeit kann ich sinnvoll nutzen, indem ich mir immer wieder der einzelnen Schritte für eine taktvolle Direktheit bewusst werde:
- Ansprechen von Konflikten und nicht unterdrücken
- „Ich-Botschaften“ aussprechen
- Konsens über „Un-Werte“ erreichen
- Achtsamkeit der Wortwahl
- Meine Phantasien über mein Gegenüber ansprechen
- Sich darüber bewusst sein, dass es keine objektive Wahrheit gibt und somit bei jedem ein Selbst- und Fremdbild existiert, das in den überwiegenden Fällen nicht identisch ist.