Bespre­chung der Ent­schei­dung des Appel­la­ti­ons­ge­richts­hofs Lüt­tich vom 16.01.2020

Der Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich

Wird ein Han­dels­ver­tre­ter­ver­trag durch den Prin­zi­pal been­det und lie­gen kei­ne Grün­de in der Per­son des Han­dels­ver­tre­ters vor, die zu einer Kün­di­gung aus wich­ti­gem Grun­de Anlass gege­ben haben, hat der Han­dels­ver­tre­ter Anspruch auf den soge­nann­ten Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich, im deut­schen Recht gemäß § 89b HGB, im bel­gi­schen Recht gemäß Arti­kel X.18 des Wirt­schafts­ge­setz­bu­ches. Der Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich soll den Han­dels­ver­tre­ter dafür ent­schä­di­gen, dass er auf­grund der Been­di­gung des Han­dels­ver­tre­ter­ver­tra­ges kei­ne Vor­tei­le mehr aus den von ihm gewor­be­nen Kun­den zie­hen kann.

Vor­aus­set­zung für den Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich ist die Über­tra­gung des Kun­den­stamms an den Prin­zi­pal. Die­sem muss daher ein Vor­teil aus der Wer­bung und Über­tra­gung des Kun­den­stamms ver­blei­ben. Unter die­ser Vor­aus­set­zung kann der Han­dels­ver­tre­ter daher Anspruch erhe­ben auf einen Aus­gleich für die Umsatz­ver­lus­te, die er mit den von ihm gewor­be­nen Kun­den bei Fort­füh­rung des Ver­tra­ges gezo­gen hät­te.

Der Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich im dop­pel­stö­cki­gen Han­dels­ver­tre­ter­ver­trag

Eine span­nen­de Rechts­fra­ge ist jedoch, wie es sich ver­hält, wenn ein dop­pel­stö­cki­ges Han­dels­ver­tre­ter­ver­hält­nis vor­liegt.

In dem zu ent­schei­den­den Fall ver­trieb ein (Haupt-) Han­dels­ver­tre­ter Back­wa­ren einer deut­schen Unter­neh­mung (Prin­zi­pal) u.a. in Bel­gi­en. Der Ver­trag unter­lag dem bel­gi­schen Recht. Der Han­dels­ver­tre­ter bedien­te sich zur Erfül­lung des Han­dels­ver­tre­ter­ver­tra­ges jedoch eines eige­nen Han­dels­ver­tre­ters, der nach­fol­gend als Unter-Han­dels­ver­tre­ter bezeich­net wer­den soll.

Der Prin­zi­pal kün­dig­te den Ver­trag ordent­lich zum 31.12.2016 und zahl­te an sei­nen Han­dels­ver­tre­ter einen Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich in Höhe von ca. 35.000,00 Euro. Die Hälf­te des Aus­gleichs­an­spruchs ent­fiel auf Umsät­ze, die der Haupt-Han­dels­ver­tre­ter mit einer gro­ßen Super­markt­ket­te, die er als Kun­den gewor­ben hat­te, erziel­te. Der rest­li­che Anspruch bezog sich auf soge­nann­te Detail­kun­den, d.h. klei­ne­re Lebens­mit­tel- und Ein­zel­han­dels­ge­schäf­te, die von dem Unter-Han­dels­ver­tre­ter gewor­ben wor­den waren.

Auf­grund der Kün­di­gung des Han­dels­ver­tre­ter­ver­tra­ges ent­fiel die Geschäfts­grund­la­ge für das Ver­trags­ver­hält­nis zwi­schen dem Haupt- und dem Unter-Han­dels­ver­tre­ter. Das Ver­trags­ver­hält­nis wur­de ohne Kün­di­gungs­frist und in Anwen­dung von Arti­kel X.17 des bel­gi­schen Wirt­schafts­ge­setz­bu­ches fak­tisch been­det. Man hät­te zwar von dem Haupt-Han­dels­ver­tre­ter erwar­ten kön­nen, dass er mit Erhalt der Kün­di­gung des Prin­zi­pals auch sei­ner­seits eine Kün­di­gung gegen­über dem Unter-Han­dels­ver­tre­ter aus­spricht, um Klar­heit zu schaf­fen und die gesetz­li­che Kün­di­gungs­frist des Han­dels­ver­tre­ter­rechts ein­zu­hal­ten. Dies tat der Haupt-Han­dels­ver­tre­ter jedoch auf­grund der Befürch­tung, der Unter-Han­dels­ver­tre­ter wür­de dann den Aus­gleichs­an­spruch bean­spru­chen, nicht. Dem Unter-Han­dels­ver­tre­ter war es nicht zumut­bar, wei­ter­zu­ar­bei­ten, da er aus­schließ­lich auf Pro­vi­si­ons­ba­sis tätig war, jedoch Pro­duk­te des Prin­zi­pals nicht mehr ver­trei­ben konn­te. In dem kon­kre­ten Fall stell­te sich jedoch das Pro­blem der Kün­di­gungs­frist nicht, weil der Unter-Han­dels­ver­tre­ter fort­an für den Prin­zi­pal tätig war und inso­weit kei­ne Pro­vi­si­ons­ver­lus­te im Rah­men der Kün­di­gungs­frist erlitt.

Aller­dings führ­te die Über­tra­gung des Kun­den­stamms an den Prin­zi­pal gegen Zah­lung des Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleichs an den Haupt-Han­dels­ver­tre­ter dazu, dass die Kun­den Bestands­kun­den des Prin­zi­pals wur­den. Dies bedeu­tet, dass der Unter-Han­dels­ver­tre­ter im Fal­le der Been­di­gung des neu­en, nun­mehr unmit­tel­ba­ren Ver­tra­ges mit dem Prin­zi­pal kei­nen Anspruch auf Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich für die von ihm gewor­be­nen Kun­den gehabt hät­te.

Daher bean­spruch­te der Unter-Han­dels­ver­tre­ter einen Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich von dem Haupt-Han­dels­ver­tre­ter.

Die recht­li­che Pro­blem­stel­lung

Das recht­li­che Pro­blem des Fal­les lag dar­in, dass der Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich grund­sätz­lich nur dann geschul­det ist, wenn der Prin­zi­pal, an des­sen Stel­le hier im Ver­hält­nis zum Unter-Han­dels­ver­tre­ter der Haupt-Han­dels­ver­tre­ter steht, aus der Wer­bung der Kun­den und der Über­tra­gung des Kun­den­stamms noch Vor­tei­le hat. Übli­cher­wei­se liegt der Vor­teil dar­in, dass der Prin­zi­pal durch Ver­mitt­lung von Geschäf­ten an die­se Kun­den noch Pro­vi­sio­nen erzie­len kann.

In dem vor­lie­gen­den Fall konn­te der Haupt-Han­dels­ver­tre­ter jedoch auf­grund der Been­di­gung des Ver­tra­ges durch den Prin­zi­pal mit den von dem Unter-Han­dels­ver­tre­ter gewor­be­nen Kun­den kei­ne Pro­vi­si­on mehr erzie­len.

Daher stell­te sich die Fra­ge, ob damit der Vor­teil ent­fiel oder der dem Prin­zi­pal, hier Haupt-Han­dels­ver­tre­ter ver­blei­ben­de Vor­teil auch ein ande­rer als die Erzie­lung von Pro­vi­sio­nen aus dem über­tra­ge­nen Kun­den­stamm sein kann. Kon­kret ging es um die Fra­ge, ob der Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich, den der Haupt-Han­dels­ver­tre­ter erhielt, ein sol­cher Vor­teil ist.

Dafür spricht bereits, dass der Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich eine Ent­schä­di­gung für die Pro­vi­sio­nen, die der Han­dels­ver­tre­ter in der Zukunft erzielt hät­te, dar­stellt.

Wenn es sich aber so ver­hält, ist der Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich ein Sub­sti­tut für künf­ti­ge Vor­tei­le aus dem Kun­den­stamm. In der deut­schen Leh­re und Recht­spre­chung besteht Über­ein­stim­mung, dass selbst eine fak­ti­sche Unmög­lich­keit, den Kun­den­stamm zu nut­zen, z.B. infol­ge der Geschäfts­auf­ga­be, im Rah­men der Bil­lig­keits­prü­fung nicht per se zum Weg­fall des Han­dels­ver­tre­ter­aus­glei­ches führt. Denn auch mit einer Geschäfts­auf­ga­be oder einer Geschäfts­än­de­rung kön­nen noch Vor­tei­le ver­bun­den sein So z.B. gibt es natio­na­le oder EU-Still­le­gungs­prä­mi­en, Abfin­dun­gen für vor­zei­ti­ge Pacht­grund­stücks­räu­mung (so z.B. Frank­furt am Main, Betriebs­be­ra­ter 1985, 687 (Tank­stel­len­auf­ga­be)), oder es kann ein erhöh­ter Kauf­preis bei Ver­äu­ße­rung des Unter­neh­mens auf­grund des vom Han­dels­ver­tre­ter gewor­be­nen Kun­den­stamms erzielt wer­den (so z.B. LG Han­no­ver, 25. Janu­ar 1996, HVR Nr. 906). Zum bel­gi­schen Recht schreibt Rechts­an­walt Patrick Kiles­te in sei­nem Buch „Cont­rat d´agence com­mer­cia­le“, dass die Fra­ge in der Rechts­leh­re strit­tig sei. In einem dop­pel­stö­cki­gen Han­dels­ver­tre­ter-Ver­hält­nis sei jedoch der Unter-Han­dels­ver­tre­ter Han­dels­ver­tre­ter im Sin­ne der gesetz­li­chen Vor­schrif­ten. Er habe auf­grund des­sen grund­sätz­lich einen Aus­gleichs­an­spruch. Es sei daher unbil­lig, einen Aus­gleichs­an­spruch des Han­dels­ver­tre­ters nur des­halb zu ver­nei­nen, weil es sich in dem kon­kre­ten Fall um einen Unter-Han­dels­ver­tre­ter han­de­le. Des­halb müs­se auch die­sem unter Berück­sich­ti­gung des Geset­zes­zwecks ein Aus­gleichs­an­spruch zuge­stan­den wer­den, wenn der Haupt-Han­dels­ver­tre­ter­ver­trag gekün­digt wird, soweit dem Haupt-Han­dels­ver­tre­ter aus der Wer­bung der Kun­den durch den Unter-Han­dels­ver­tre­ter ein Vor­teil in Form des Aus­gleichs­an­spruchs ent­steht.

Unbil­lig erscheint dies auch vor dem Hin­ter­grund, dass ansons­ten in einem dop­pel­stö­cki­gen Han­dels­ver­tre­ter­ver­hält­nis der Haupt-Han­dels­ver­tre­ter durch die Tätig­keit des Unter-Han­dels­ver­tre­ters ohne Gegen­leis­tung berei­chert wür­de. Weder die Han­dels­ver­tre­ter­richt­li­nie noch die For­mu­lie­rung des Geset­zes legen die­ses Ergeb­nis jedoch nahe.

Ent­schei­dung des Appel­la­ti­ons­hofs Lüt­tich vom 16. Janu­ar 2020

Bedau­er­li­cher­wei­se sah dies die 15. (deutsch­spra­chi­ge) Zivil­kam­mer des Appel­la­ti­ons­hofs Lüt­tich in der Ent­schei­dung vom 16. Janu­ar 2020 anders. Mit den vor­ste­hen­den Über­le­gun­gen setz­te sich das Gericht kaum aus­ein­an­der. Der Wort­laut des hier maß­geb­li­chen Arti­kel X.18 des bel­gi­schen Wirt­schafts­ge­setz­bu­ches sei, so das Gericht, ein­deu­tig. Nach Maß­ga­be die­ser Vor­schrift hat der Han­dels­ver­tre­ter nach Been­di­gung des Han­dels­ver­tre­ter­ver­tra­ges Anspruch auf eine Aus­gleichs­ab­fin­dung, wenn er neue Kun­den für den Auf­trag­ge­ber gewor­ben oder die Geschäfts­ver­bin­dung mit der bestehen­den Kund­schaft wesent­lich erwei­tert hat und wenn dies dem Auf­trag­ge­ber noch erheb­li­che Vor­tei­le ein­brin­gen kann. In der Begrün­dung der Ent­schei­dung geht der Appel­la­ti­ons­hof jedoch davon aus, „noch“ sei syn­onym mit „in der Zukunft“. Der Anspruch auf Aus­gleichs­ent­schä­di­gung sei jedoch kein zukünf­ti­ger Vor­teil, son­dern ent­ste­he durch die Been­di­gung des Han­dels­ver­tre­ter­ver­tra­ges.

Die Gleich­set­zung des Wor­tes „noch“ mit „in der Zukunft“ ist jedoch feh­ler­haft. Die­se Gleich­set­zung ist bereits seman­tisch nicht zu bele­gen. Der Satz „wir haben noch aus­rei­chend Lager­be­stand.“ heißt nicht, dass dies in der Zukunft noch der Fall sein wird, son­dern jetzt aktu­ell, also: noch. Auch im Fran­zö­si­schen wäre die jeden­falls aus­schließ­li­che Gleich­set­zung von „enco­re“ mit „à l´avenir“ eher fern­lie­gend. Gemäß dem Larous­se soll „enco­re“ bedeu­ten: „indi­que la per­sis­tance d´une action ou d´un état à un moment don­né, indi­que la répé­ti­ti­on, de nou­veau, indi­que l´addition, en plus, en out­re, d´avantage etc. ». „Noch“ bedeu­tet inso­weit vor allem fort­dau­ernd. Dies liegt auch die eng­li­sche Fas­sung der Han­dels­ver­tre­ter­richt­li­nie nahe, die von „con­ti­nues to deri­ve sub­stan­ti­al bene­fits“ spricht. Mit der Been­di­gung des Unter-Han­dels­ver­tre­ter­ver­tra­ges hat der Haupt-Han­dels­ver­tre­ter noch Vor­tei­le, weil er aus den gewor­be­nen Kun­den den Han­dels­ver­tre­ter­aus­gleich gegen­über dem Prin­zi­pal bean­spru­chen kann und er inso­weit aus den Geschäf­ten mit die­sem Kun­den noch erheb­li­che Vor­tei­le zieht (vgl. Art. 17 Abs. 2, 1. Spie­gel­strich der Richt­li­nie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezem­ber 1986 zur Koor­di­nie­rung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten betref­fend die selb­stän­di­gen Han­dels­ver­tre­ter). Ob die­se Geschäf­te in der Zukunft oder Ver­gan­gen­heit lie­gen, erschließt sich nicht unmit­tel­bar aus dem Wort­laut der Vor­schrift.

Dass der Wort­laut nicht ein­deu­tig ist, legt im Übri­gen auch bereits der Umstand nahe, dass das Gericht ers­ter Instanz in Eupen der Argu­men­ta­ti­on des Klä­gers gefolgt war und die Fra­ge in der Rechts­leh­re umstrit­ten ist. Der Appel­la­ti­ons­hof hät­te daher die Ange­le­gen­heit jeden­falls dem Euro­päi­schen Gerichts­hof vor­le­gen müs­sen.

Aktu­ell han­delt es sich, soweit bekannt, um die ers­te ober­ge­richt­li­che Ent­schei­dung zu die­ser Fra­ge im bel­gi­schen Recht. Der Klä­ger hat sich ent­schlos­sen, Revi­si­on ein­zu­le­gen. Es wird abzu­war­ten blei­ben, was der bel­gi­sche Kas­sa­ti­ons­ge­richts­hof ent­schei­det.

Gui­do J. Imfeld

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