Zum 1. Sep­tem­ber 2018 wird eine grö­ße­re Reform des bel­gi­schen Erb­rechts in Kraft tre­ten (vgl. das Gesetz vom 31.07.2017, Moni­teur bel­ge vom 01.09.2017, S. 81578). Sie ist Teil eines brei­ter ange­leg­ten Reform­pa­kets, mit dem Jus­tiz­mi­nis­ter Koen Geens die grund­le­gen­de bel­gi­sche Gesetz­ge­bung im Bereich des Bür­ger­li­chen Rechts, des Unter­neh­mens­rechts und des Straf­rechts an neue­re Ent­wick­lun­gen anpas­sen, kohä­ren­ter und ver­ständ­li­cher machen möch­te. Ins­be­son­de­re das bel­gi­sche Erbrecht ist in den gut zwei­hun­dert Jah­ren seit dem Inkraft­tre­ten des Code civil im Jahr 1804 bei­na­he unver­än­dert geblie­ben.

Das bel­gi­sche Erbrecht ist auch für Deut­sche maß­geb­lich, die in Bel­gi­en leben und dort ver­ster­ben. Seit 2015 unter­liegt die Rechts­nach­fol­ge einer Per­son von Todes wegen in der gesam­ten Euro­päi­schen Uni­on grund­sätz­lich dem Recht des Staa­tes, in dem der Ver­stor­be­ne im Zeit­punkt sei­nes Todes sei­nen gewöhn­li­chen Auf­ent­halt hat­te (Art. 21 Abs. 1 der Ver­ord­nung (EU) Nr. 650/2012). Abwei­chend von die­ser Grund­re­gel kann man für sei­ne Rechts­nach­fol­ge von Todes wegen aber auch das Recht des Staa­tes wäh­len, des­sen Staats­an­ge­hö­rig­keit man besitzt (Art. 22 der Ver­ord­nung). Hat ein Deut­scher, der in Bel­gi­en lebt, in sei­nem Tes­ta­ment kei­ne aus­drück­li­che Rechts­wahl zuguns­ten des deut­schen Rechts getrof­fen, rich­tet sich sei­ne Rechts­nach­fol­ge von Todes wegen somit nach dem bel­gi­schen Recht.

Obers­tes Ziel der Reform des bel­gi­schen Erb­rechts ist die Stär­kung der Tes­tier­frei­heit des Erb­las­sers. Dadurch will der Gesetz­ge­ber mehr Fle­xi­bi­li­tät schaf­fen und das Erbrecht an neue Fami­li­en­mo­del­le anpas­sen.

Pflicht­teils­recht

Die wohl stärks­te Ein­schrän­kung der Tes­tier­frei­heit bil­det das Pflicht­teils­recht. In die­sem Bereich bestehen zwi­schen dem deut­schen und dem bel­gi­schen Erbrecht grund­le­gen­de Unter­schie­de. Nach deut­schem Recht kann der Erb­las­ser auch von Todes wegen frei über sein gesam­tes Ver­mö­gen ver­fü­gen und sei­ne Erben frei bestim­men. Wenn der Erb­las­ser die sog. Pflicht­teils­be­rech­tig­ten (das sind, je nach Fall, sei­ne Abkömm­lin­ge, sein Ehe­gat­te oder sei­ne Eltern) „ent­erbt“, indem er ande­re Per­so­nen zu sei­nen Erben bestimmt, steht den Pflicht­teil­be­rech­tig­ten nur ein Anspruch auf Geld­zah­lung gegen die Erben zu. Sie wer­den dem­nach nicht Teil der Erben­ge­mein­schaft.

Dies ist im bel­gi­schen Recht anders. Dort kann der Erb­las­ser von vorn­her­ein nur über einen bestimm­ten Teil sei­nes Ver­mö­gens frei von Todes wegen ver­fü­gen, wenn Pflicht­teils­be­rech­tig­te vor­han­den sind. Der ande­re Ver­mö­gens­teil ist dann für die Pflicht­teils­be­rech­tig­ten „reser­viert“ (sog. réser­ve héré­di­taire / wet­te­li­jke reser­ve). Die­se Per­so­nen kön­nen mit ande­ren Wor­ten nicht „ent­erbt“ wer­den. Sie sind als Pflicht­er­ben auto­ma­tisch Teil der Erben­ge­mein­schaft.

Die Erb­rechts­re­form ändert an die­ser grund­le­gen­den Kon­zep­ti­on zwar nichts, schwächt die Rech­te der Pflicht­er­ben jedoch in mehr­fa­cher Hin­sicht ab. Zunächst wei­tet die Reform den ver­fü­gungs­frei­en Ver­mö­gens­teil aus. Wur­de der ver­fü­gungs­freie Ver­mö­gens­teil nach altem Recht immer klei­ner, je mehr Kin­der der Erb­las­ser hin­ter­ließ (die Hälf­te des Ver­mö­gens bei einem Kind, ein Drit­tel bei zwei Kin­dern, ein Vier­tel bei drei oder mehr Kin­dern), beträgt der ver­fü­gungs­freie Teil nun­mehr unab­hän­gig von der Anzahl der Kin­der immer die Hälf­te (Art. 913 Code civil n.F.). Dadurch wird der Erb­teil der Pflicht­er­ben erheb­lich ver­klei­nert.

Hin­zu kommt, dass das Pflich­ter­brecht der Eltern und sons­ti­ger Ver­wand­ter in auf­stei­gen­der Linie (vgl. Art. 915 Code civil a.F.) durch die Reform abge­schafft wird. Hin­ter­lässt der Erb­las­ser weder Kin­der noch einen Ehe­gat­ten, kann er fort­an sei­ne Rechts­nach­fol­ge für sein gesam­tes Ver­mö­gen frei bestim­men. Nun­mehr kann der kin­der­lo­se Erb­las­ser zum Bei­spiel sei­nem Lebens­part­ner, mit dem er nicht ver­hei­ra­tet ist, sein gesam­tes Ver­mö­gen zukom­men las­sen. Dem­ge­gen­über war nach altem Recht auto­ma­tisch das hal­be Ver­mö­gen „reser­viert“, wenn der Erb­las­ser auf müt­ter­li­cher und väter­li­cher Sei­te noch Ver­wand­te in auf­stei­gen­der Linie hat­te.

Die Pflicht­teils­be­rech­ti­gung des Ehe­gat­ten besteht auch nach der Reform fort. Sie besteht aus einem Nieß­brauch an der Hälf­te der Erb­schaft (Art. 915bis Code civil).

Ermög­li­chung von Erb­ver­trä­gen inner­halb der Fami­lie

Eine wei­te­re Stär­kung der Tes­tier­frei­heit erreicht die Erb­rechts­re­form, indem sie Mög­lich­kei­ten schafft, wie der Erb­las­ser sei­ne Rechts­nach­fol­ge durch Ver­ein­ba­run­gen mit sei­nen Kin­dern regeln und auf beson­de­re fami­liä­re Situa­tio­nen zuschnei­den kann. Dazu lockert die Reform das grund­sätz­li­che Ver­bot, über die Erb­schaft einer noch nicht ver­stor­be­nen Per­son Ver­trä­ge zu schlie­ßen (vgl. Art. 1130 Abs. 2 Code civil a.F. bzw. Art. 1100/1 Code civil n.F.).

Bevor­zu­gung ein­zel­ner Kin­der

Durch einen Erb­ver­trag mit sei­nen Kin­dern (pac­te suc­ces­so­ral glo­bal / glo­ba­le erf­over­een­komst, Art. 1100/7 Code civil n.F.) kann der Erb­las­ser den ein­zel­nen Kin­dern unter­schied­lich gro­ße Ver­mö­gens­tei­le zukom­men las­sen und damit die erb­recht­lich vor­ge­se­he­ne Gleich­be­hand­lung durch­bre­chen. Auf die­se Wei­se kann bei­spiels­wei­se ein Kind, das der Erb­las­ser ange­sichts einer Krank­heit oder Behin­de­rung beson­ders absi­chern möch­te, bevor­zugt wer­den. Vor­aus­set­zung ist frei­lich, dass dem in dem Ver­trag alle übri­gen Kin­der zustim­men.

Die Bevor­zu­gung ein­zel­ner Kin­der erfolgt nicht durch eine Ände­rung der gesetz­li­chen Erb­quo­ten, son­dern schon zu Leb­zei­ten des Erb­las­sers durch Schen­kun­gen an das bevor­zug­te Kind. Im Erb­ver­trag stel­len der Erb­las­ser und sei­ne Kin­der fest, dass die­se Schen­kun­gen zwi­schen den ein­zel­nen Kin­dern als aus­ge­gli­chen gel­ten. Dadurch ver­zich­ten die übri­gen Kin­der auf alle Rech­te, mit denen sie für die von der Schen­kung aus­ge­hen­de Ungleich­be­hand­lung nach dem Tod des Erb­las­sers Aus­gleich ver­lan­gen könn­ten:

Zum einen müs­sen sich die Kin­der die Schen­kun­gen des Erb­las­sers nach des­sen Tod nicht gegen­sei­tig aus­glei­chen. Grund­sätz­lich müss­ten sie die Schen­kun­gen, die sie vom Erb­las­ser erhal­ten haben, nach des­sen Tod zum Nach­lass „zurück­füh­ren“ (Art. 843 c.c., sog. rap­port / in­breng). Die Schen­kung wird sozu­sa­gen nur als Vor­schuss auf den spä­te­ren Erb­teil ange­se­hen. Dadurch soll die Gleich­be­hand­lung zwi­schen den ein­zel­nen Kin­dern gewahrt wer­den. Der Erb­ver­trag macht Ungleich­be­hand­lun­gen zwi­schen den Kin­dern hin­ge­gen expli­zit mög­lich.

Zum ande­ren ver­zich­ten die Kin­der durch den Erb­ver­trag auf ihren Pflicht­teil. Als Pflicht­er­ben steht ihnen grund­sätz­lich die sog. Her­ab­set­zungs­kla­ge (action en réduc­tion des libé­ra­li­tés / in­kor­ting van gif­ten, Art. 920 Code civil) zu. Wenn der Erb­las­ser durch Schen­kun­gen den ver­fü­gungs­frei­en Teil sei­nes Ver­mö­gens über­schrit­ten hat, kön­nen die Pflicht­er­ben Ent­schä­di­gung von dem Beschenk­ten ver­lan­gen. Im Fall eines Erb­ver­tra­ges ist die­se Kla­ge aus­ge­schlos­sen.

Gene­ra­tio­nen­sprün­ge

Mög­lich ist es künf­tig auch, durch eine Ver­ein­ba­rung mit den Kin­dern bei der Erb­fol­ge eine Gene­ra­ti­on zu über­sprin­gen und statt den eige­nen Kin­dern die Enkel als Erben ein­zu­set­zen (Art. 1100/7 § 4 Code civil n.F.). Da das „über­sprun­ge­ne“ Kind damit auf sein Erbrecht ver­zich­tet, muss es im Erb­ver­trag zustim­men. Auf die­se Wei­se kann der Erb­las­ser sein Ver­mö­gen unmit­tel­bar der jün­ge­ren Gene­ra­ti­on zukom­men las­sen, die auf das Ver­mö­gen zwecks Exis­tenz­grün­dung mög­li­cher­wei­se drin­gen­der ange­wie­sen ist als die Kin­der­ge­ne­ra­ti­on.

Ein sol­cher Gene­ra­tio­nen­sprung ist ins­be­son­de­re in steu­er­recht­li­cher Hin­sicht inter­es­sant. Nach alter Rechts­la­ge ließ sich der Erb­schafts­er­werb des Enkels nur dadurch errei­chen, dass das erben­de Kind die Erb­schaft dem Enkel wei­ter­schenk­te. Die­ser Vor­gang muss­te aber zwei­mal besteu­ert wer­den: Der Erb­vor­gang vom Erb­las­ser an das Kind war erb­schafts­steu­er­pflich­tig und die dar­auf­fol­gen­de Schen­kung vom Kind an den Enkel schen­kungs­steu­er­pflich­tig. Der nun mög­li­che Direk­t­er­werb des Enkels wird hin­ge­gen nur ein­mal besteu­ert (Erb­schafts­steu­er).

Im deut­schen Recht kann ein (steu­er­lich güns­ti­ger) Direk­t­er­werb des Enkels auch dadurch erreicht wer­den, dass das Kind die Erb­schaft aus­schlägt. Denn dann erbt der Enkel anstel­le des Kin­des. Dies funk­tio­niert in Bel­gi­en hin­ge­gen nicht, da der Erb­teil des Aus­schla­gen­den in der Regel den übri­gen Erben, also den übri­gen Kin­dern des Erb­las­sers, zukommt (Art. 786 Code civil). Inso­fern erreicht die Reform eine bedeu­ten­de Neue­rung.

 

Frie­de­ri­ke Dorn
Rechts­re­fe­ren­da­rin

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