Aus­gleichs­an­spruch bei Flug­ver­spä­tung und Flug­aus­fall auf Grund­la­ge der Ver­ord­nung 261/2004/EG (auch Flug­gast­rech­te-VO bzw. Flug­gast­rech­te-Ver­ord­nung)

Der Flug­ver­kehr nimmt zu und damit auch die Anzahl der Ver­spä­tun­gen oder der nicht stattfindenden/aus­ge­fal­le­nen Flü­ge.
Unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen und in wel­cher Höhe kann eine Aus­gleichs­zah­lung gel­tend gemacht wer­den?

Nach Art. 3 VO 261/2004/EG ist die Ver­ord­nung zunächst auf alle Flü­ge anwend­bar, die auf einem Flug­ha­fen inner­halb der Euro­päi­schen Gemein­schaft (EG) ange­tre­ten wer­den. Dane­ben fin­det die Ver­ord­nung aber auch auf Flü­ge von einem Dritt­land in die Euro­päi­sche Gemein­schaft (EG) Anwen­dung, soweit sie von Luft­fahrt­un­ter­neh­men der Gemein­schaft durch­ge­führt wer­den (Luft­fahrt­un­ter­neh­men mit einer gül­ti­gen Betriebs­ge­neh­mi­gung erteilt von einem Mit­glieds­staat der Euro­päi­schen Gemein­schaft). Es fin­det dabei grund­sätz­lich kei­ne Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Lini­en­flü­gen, Char­ter­flü­gen und Bil­lig­flü­gen statt. Zu beach­ten ist aller­dings, dass die Ansprü­che immer gegen­über der den Flug aus­füh­ren­den Flug­ge­sell­schaft gel­tend gemacht wer­den müs­sen, und zwar auch dann, wenn der Flug Bestand­teil einer gebuch­ten Pau­schal­rei­se ist (Con­dor, TUIFly, Easy­jet, Ger­man­wings, Air­Ber­lin, Luft­han­sa, Ryan­air, Sun­ex­press usw.)

Wei­te­re Vor­aus­set­zung für die Gel­tend­ma­chung von Ansprü­chen ist, dass kei­ne Beför­de­rung erfolgt oder aber ein Flug annul­liert wird. Dar­über hin­aus kann auch im Fall einer gro­ßen Ver­spä­tung ein Anspruch gel­tend gemacht wer­den: Der Euro­päi­sche Gerichts­hof1 (EuGH) und dar­an anschlie­ßend der Bun­des­ge­richts­hof2 (BGH) haben ent­schie­den, dass im Fal­le einer gro­ßen Ver­spä­tung nach Art. 6 Abs. 1 VO 261/2004/EG dem Flug­gast wie bei einer Annul­lie­rung des Flu­ges ein Anspruch auf eine Aus­gleichs­zah­lung nach Art. 7 VO 261/2004/EG zusteht, sofern er sein End­ziel nicht frü­her als drei Stun­den nach der geplan­ten Ankunfts­zeit erreicht.

Die Höhe der Aus­gleichs­an­sprü­che, nament­lich die Zah­lung einer Ent­schä­di­gung, rich­tet sich nach der Flug­stre­cke. Aus Art. 7 Abs. 1 lit. a), b) und c) VO 261/2004/EG ergibt sich fol­gen­de Staf­fe­lung der Aus­gleichs­zah­lun­gen:

  • 250,00 € bei allen Flü­gen über eine Ent­fer­nung von 1.500 km oder weni­ger,
  • 400,00 € bei allen inner­ge­mein­schaft­li­chen Flü­gen über eine Ent­fer­nung von mehr als 1.500 km und bei allen ande­ren Flü­gen über eine Ent­fer­nung zwi­schen 1.500 km und 3.500 km,
  • 600,00 € bei allen nicht unter Buch­sta­be a) oder b) fal­len­den Flü­gen

Der Anspruch steht dem ein­zel­nen Flug­gast zu. Das Amts­ge­richt Rüs­sels­heim3 hat ent­schie­den, dass sich der Anwen­dungs­be­reich der VO 261/2004/EG auch auf min­der­jäh­ri­ge Flug­gäs­te erstreckt.

Zu beach­ten ist aller­dings, dass nach dem 14. Erwä­gungs­grund der VO 261/2004/EG ein Aus­gleichs­an­spruch aus­ge­schlos­sen ist, wenn außer­ge­wöhn­li­che Umstän­de vor­lie­gen, die sich auch dann nicht hät­ten ver­mei­den las­sen, wenn von dem Luft­fahrt­un­ter­neh­men alle zumut­ba­ren Maß­nah­men ergrif­fen wor­den wären.

Bereits der Euro­päi­sche Gerichts­hof4 (EuGH) hat ent­schie­den, dass Art. 5 Abs. 3 VO 261/2004 /EG dahin aus­zu­le­gen ist, dass ein bei einem Flug­zeug auf­ge­tre­te­nes tech­ni­sches Pro­blem, das zur Annul­lie­rung oder Ver­spä­tung eines Flu­ges führt, nicht unter den Begriff „außer­ge­wöhn­li­che Umstän­de“ im Sin­ne die­ser Bestim­mung fällt, es sei denn, das Pro­blem geht auf Vor­komm­nis­se zurück, die auf­grund ihrer Natur oder Ursa­che nicht Teil der nor­ma­len Aus­übung der Tätig­keit des betrof­fe­nen Luft­fahrt­un­ter­neh­mens sind und von ihm tat­säch­lich nicht zu beherr­schen sind. Die­ser Auf­fas­sung hat sich der Bun­des­ge­richts­hof5 (BGH) ange­schlos­sen.

Wann und ob ein „außer­ge­wöhn­li­cher Umstand“ vor­liegt, ist immer ori­en­tiert am kon­kre­ten Ein­zel­fall zu ent­schei­den und lässt sich nicht sche­ma­tisch beur­tei­len, wie ein kur­zer Über­blick über die Recht­spre­chung zeigt:

Ein Luft­fahrt­un­ter­neh­men kann sich nicht wegen „außer­ge­wöhn­li­cher Umstän­de“ ent­las­ten, wenn ein Flug­zeug wäh­rend der Bereit­stel­lung für den spä­ter annul­lier­ten Flug beschä­digt wird.6 Ein Hydrau­li­kleck an der Höhen­ru­der­steue­rung ist kein „außer­ge­wöhn­li­cher Umstand“.7 Ein Luft­fahrt­un­ter­neh­men ist ver­pflich­tet, die Aus­gleichs­zah­lung im Fal­le einer gro­ßen Ver­spä­tung zu leis­ten, auch wenn sie auf die Ver­stop­fung alle vier Toi­let­ten zurück­zu­füh­ren ist, denn es rea­li­siert sich hier­mit ledig­lich das Risi­ko beim Betrieb eines Ver­kehrs­flug­zeu­ges. Ein Ent­las­tungs­grund kann hier­in nicht gese­hen wer­den.8 Kommt es auf­grund eines tech­ni­schen Defekts (hier am „Rever­se Flow Check Con­trol­ler“) zu einer Ver­spä­tung, beruht die­ser nicht auf einem außer­ge­wöhn­li­chen Umstand im Sin­ne des Art. 5 III VO 261/2004/EG.9

In der jün­ge­ren Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs10 (BGH) kommt dies auch wei­ter­hin zum Aus­druck: Das Luft­fahrt­un­ter­neh­men wird von der Ver­pflich­tung zu einer Aus­gleichs­zah­lung nur dann frei, wenn es eine Annul­lie­rung oder erheb­li­che Ver­spä­tung des Flugs infol­ge des Scha­dens nicht ver­hin­dern kann. Wich­tig und wesent­lich ist, dass das Luft­fahrt­un­ter­neh­men dar­zu­le­gen und zu bewei­sen hat, dass es auf Stö­run­gen sei­nes Flug­plans, die als Fol­ge eines außer­ge­wöhn­li­chen Ereig­nis­ses oder aus ande­ren Grün­den, ins­be­son­de­re wegen auf­tre­ten­der tech­ni­scher Defek­te, ein­tre­ten kön­nen, ange­mes­sen vor­be­rei­tet ist und die im Per­so­nen­luft­ver­kehr übli­chen Vor­keh­run­gen getrof­fen hat, um auf sol­che Stö­run­gen reagie­ren und die Annul­lie­rung oder erheb­li­che Ver­spä­tung eines hier­von betrof­fe­nen Flugs wenn mög­lich ver­mei­den zu kön­nen. Wei­ter­hin führt der Bun­des­ge­richts­hof (BGH) aus, dass der Euro­päi­sche Gerichts­hof11 (EuGH) dabei von einem fle­xi­blen und vom Ein­zel­fall abhän­gi­gen Begriff der zumut­ba­ren Maß­nah­me aus­geht und es Sache des natio­na­len Gerichts ist, zu beur­tei­len, ob im Ein­zel­fall ange­nom­men wer­den kann, dass das Luft­fahrt­un­ter­neh­men die der Situa­ti­on ange­mes­se­nen Maß­nah­men getrof­fen hat.

Zu sol­chen Maß­nah­men dürf­te es nach der Recht­spre­chung12 auch gehö­ren, dass eine Ersatz­ma­schi­ne vor­ge­hal­ten wird, um einen tech­ni­schen Defekt einer Maschi­ne auf­fan­gen zu kön­nen.

Dies­be­züg­lich hat der Bun­des­ge­richts­hof13 (BGH) aller­dings ein­schrän­kend fest­ge­stellt, dass die Fra­ge der Bereit­stel­lung einer Ersatz­ma­schi­ne auch von der Fra­ge abhän­gig ist, wie oft der Flug­ha­fen wöchent­lich ange­flo­gen wird.

Wol­len Sie Ansprü­che wegen eines Flug­aus­falls oder einer Flug­ver­spä­tung – ins­be­son­de­re einen Aus­gleichs­an­spruch – gel­tend machen?
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1 Urt. v. 19.11.2009, Az. C‑402/07 und C‑432/07.
2 Urt. v. 18.02.2010, Az. Xa ZR 95/06.
3 Urt. v. 25.11.2011, Az. 3 C 1687/11.
4 Urt. v. 19.11.2009, Az. C‑402/07 und C‑432/07.
5 Urt. v. 18.02.2010, Az. Xa ZR 95/06.
6 Amts­ge­richt Frank­furt am Main, Urt. v. 03.02.2010, Az. 29 C 2088/09.
7 Amts­ge­richt Rüs­sels­heim, Urt. v. 25.03.2011, Az. 3 C 289/11.
8 Amts­ge­richt Rüs­sels­heim, Urt. v. 12.09.2011, Az. 3 C 1047/11.
9 Amts­ge­richt Rüs­sels­heim, Urt. v. 20.04.2012, Az. 3 C 2273/11.
10 Urt. v. 24.09.2013, Az. V ZR 160/12.
11 Urt. v. 12.05.2011, Az. C‑294/10.
12 KG Ber­lin, Urt. v. 03.06.2009, Az. 8 U 15/09.
13 Urt. v. 24.09.2013, Az. V ZR 160/12.

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Über den Autor

  • Karsten Becker

    Kars­ten Becker ist Rechts­an­walt seit 2009 und Fach­an­walt für Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Sei­ne Fach­ge­bie­te sind Zivil­recht, Pri­vat­recht, Miet­recht, WEG-Recht, Immo­bi­li­en­recht, Kauf­recht, Werk­ver­trags­recht, Delikts­recht und Rei­se­ver­trags­recht. Herr Becker ist seit Som­mer 2019 nicht mehr für uns tätig.