Aus­gangs­la­ge

Im Zusam­men­hang mit der Fra­ge, ob ein Man­gel der Miet­sa­che im Sin­ne von § 536 Abs. 1 BGB vor­liegt, wenn die tat­säch­li­che Wohn­flä­che von der im Miet­ver­trag aus­ge­wie­se­nen Wohn­flä­che abweicht (wes­halb dann ggfls. die Mie­te gemin­dert wäre), ent­schied der BGH wie folgt:

Der BGH hat in sei­ner Ent­schei­dung vom 24.03.2004 (VIII ZR 295/03) im Zusam­men­hang mit einer Wohn­flä­chen­ab­wei­chung wie folgt ent­schie­den:

„Weist eine gemie­te­te Woh­nung eine Wohn­flä­che auf, die mehr als 10 % unter der im Miet­ver­trag ange­ge­be­nen Flä­che liegt, stellt die­ser Umstand grund­sätz­lich einen Man­gel der Miet­sa­che im Sin­ne des § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, der den Mie­ter zur Min­de­rung der Mie­te berech­tigt. Einer zusätz­li­chen Dar­le­gung des Mie­ters, dass infol­ge der Flä­chen­dif­fe­renz die Taug­lich­keit der Woh­nung zum ver­trags­ge­mä­ßen Gebrauch gemin­dert ist, bedarf es nicht.“

Der BGH stell­te also klar, dass bei einem erheb­li­chen Flä­chen­man­gel – einer Abwei­chung ab 10 % auf­wärts – eine tat­säch­li­che Ver­mu­tung für eine Beein­träch­ti­gung der Gebrauchs­taug­lich­keit der Woh­nung spre­che, wes­halb der Mie­ter nicht noch zusätz­lich den kon­kre­ten Nach­weis einer kon­kre­ten Beein­träch­ti­gung füh­ren müs­se. Inso­weit wur­de mehr oder weni­ger eine „Erheb­lich­keits­schwel­le“ geschaf­fen.

Dies gilt auch für den Bereich des Gewer­be­raum­miet­rechts. Hier­zu hat der BGH (Urt. v. 04.05.2005, Az. XII ZR 254/01) ent­schie­den:

„Auch bei der Mie­te von Geschäfts­räu­men stellt eine Miet­flä­che, die um mehr als 10 % unter der im Miet­ver­trag ver­ein­bar­ten Flä­che liegt, einen nicht uner­heb­li­chen Man­gel dar.“

Dies bedeu­te­te aber schon zu die­sem Zeit­punkt nicht, dass jede Abwei­chung, die unter­halb der 10 %-Gren­ze liegt, unbe­acht­lich wäre. Viel­mehr kann eine Beein­träch­ti­gung der Taug­lich­keit des Miet­ob­jek­tes zum ver­trags­ge­mä­ßen Gebrauch auch dann vor­lie­gen, der Mie­ter muss dann aber sub­stan­ti­iert dar­le­gen, dass durch die Flä­chen­ab­wei­chung unter­halb von 10 % die Taug­lich­keit der Woh­nung zum ver­trags­ge­mä­ßen Gebrauch erheb­lich beein­träch­tigt ist.

Urteil des BGH vom 18.11.2015

Nun­mehr hat sich der BGH in sei­nem Urteil vom 18.11.2015 zum Az. VIII ZR 266/14 erneut mit der Fra­ge der Flä­chen­ab­wei­chung befasst, in die­sem Fall aller­dings im Zusam­men­hang mit einer Miet­erhö­hung, nicht mit der Fra­ge, ob ein Man­gel der Miet­sa­che vor­liegt. Bis zu die­sem Zeit­punkt hat­te der BGH (so u.a. Urt. v. 08.07.2009, Az. VIII ZR 205/08) die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass

„einer Miet­erhö­hung nach § 558 BGB die ver­ein­bar­te Wohn­flä­che zugrun­de zu legen ist, wenn die tat­säch­li­che Wohn­flä­che zum Nach­teil des Mie­ters um nicht mehr als 10 % davon abweicht“,

also auch im Bereich der Miet­erhö­hung die „Erheb­lich­keits­schwel­le“ von 10 % in Anwen­dung gebracht. In der Ent­schei­dung vom 18.11.2015 aller­dings führt der BGH nun­mehr aus:

„Nach der Recht­spre­chung des Senats beinhal­tet die in einem Wohn­raum­miet­ver­trag ent­hal­te­ne Wohn­flä­chen­an­ga­be im All­ge­mei­nen zugleich eine dahin gehen­de ver­trag­li­che Fest­le­gung der Soll­be­schaf­fen­heit der Miet­sa­che im Sin­ne einer Beschaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung (…). Dem­entspre­chend geht der Senat — wor­an fest­zu­hal­ten ist — in stän­di­ger Recht­spre­chung davon aus, dass ein zur Min­de­rung der Mie­te füh­ren­der Man­gel der Woh­nung im Sin­ne des § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB infol­ge Über­schrei­tung der Erheb­lich­keits­schwel­le gege­ben ist, wenn die tat­säch­li­che Wohn­flä­che um mehr als 10 % unter der im Miet­ver­trag ange­ge­be­nen Wohn­flä­che liegt (…).

Das bedeu­tet jedoch nicht, dass mit einer sol­chen bei Ver­trags­schluss getrof­fe­nen Beschaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung auch die bei einer spä­te­ren Miet­erhö­hung gemäß § 558 Abs. 2 BGB in die Bil­dung der orts­üb­li­chen Ver­gleichs­mie­te ein­zu­stel­len­de Grö­ße der Woh­nung in glei­cher Wei­se durch einen von den tat­säch­li­chen Ver­hält­nis­sen abwei­chen­den fik­ti­ven Wert ver­bind­lich fest­ge­legt ist. Soweit der Senat dies in sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung anders gese­hen hat, indem er Abwei­chun­gen von bis zu 10 % für unbe­acht­lich gehal­ten hat (…), hält er dar­an nicht mehr fest. Viel­mehr ist jede im Wohn­raum­miet­ver­trag ent­hal­te­ne, von der tat­säch­li­chen Woh­nungs­grö­ße abwei­chen­de Wohn­flä­chen­an­ga­be für die in § 557 Abs. 3 Halbs. 1 BGB vor­ge­schrie­be­ne Anwend­bar­keit des § 558 BGB und die nach des­sen Maß­stä­ben zu beur­tei­len­de Miet­erhö­hung ohne recht­li­che Bedeu­tung. Maß­geb­lich für den nach die­ser Bestim­mung vor­zu­neh­men­den Abgleich der begehr­ten Miet­erhö­hung mit der orts­üb­li­chen Ver­gleichs­mie­te ist allein die tat­säch­li­che Grö­ße der ver­mie­te­ten Woh­nung.“

Bewer­tung

Die Ent­schei­dung bedeu­tet kei­ne umfas­sen­de Abkehr von der 10%-Rechtsprechung und der „Erheb­lich­keits­schwel­le“, son­dern die­se Recht­spre­chung dürf­te im Hin­blick auf die Fra­ge, ob ein Man­gel der Miet­sa­che vor­liegt oder nicht, unver­än­dert Bestand haben. Dies ergibt sich dar­aus, dass der BGH in sei­ner Ent­schei­dung aus­führt, dass an der bis­he­ri­gen Auf­fas­sung in die­ser Hin­sicht fest­ge­hal­ten wird.

Im Zusam­men­hang mit einer Miet­erhö­hung nach § 558 BGB hat der BGH sei­ne 10%-Rechtsprechung auf­ge­ge­ben – hier soll jetzt die tat­säch­li­che Wohn­flä­che maß­geb­lich sein.


Kars­ten Becker,
Rechts­an­walt

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Über den Autor

  • Karsten Becker

    Kars­ten Becker ist Rechts­an­walt seit 2009 und Fach­an­walt für Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Sei­ne Fach­ge­bie­te sind Zivil­recht, Pri­vat­recht, Miet­recht, WEG-Recht, Immo­bi­li­en­recht, Kauf­recht, Werk­ver­trags­recht, Delikts­recht und Rei­se­ver­trags­recht. Herr Becker ist seit Som­mer 2019 nicht mehr für uns tätig.