Gewähr­leis­tungs- und Rück­ga­be­an­sprü­che für End­kun­den?

VW hat am 22.09.2015 ein­ge­räumt, durch Ein­satz einer Mani­pu­la­ti­ons­soft­ware 11 Mil­lio­nen Fahr­zeu­ge so mani­pu­liert zu haben, dass im Rah­men von Test­läu­fen auf einem Fahr­zeug­prüf­stand gerin­ge­re Schadstoffe/Abgase pro­du­ziert wer­den als unter rea­len Fahr­be­din­gun­gen.

Wor­um geht es? Die tech­ni­schen Hin­ter­grün­de.

In den USA wer­den Fahr­zeu­ge von der „Envi­ro­m­en­tal Pro­tec­tion Agen­cy“ auf Schad­stoff­emis­sio­nen geprüft. Bemer­kens­wert und sicher­lich auch über­ra­schend ist dabei, dass bei Die­sel­mo­to­ren die Emis­si­ons­grenz­wer­te in den USA wesent­lich stren­ger sind als in Euro­pa: Die Ame­ri­ka­ner erlau­ben nur einen Stick­stoff­aus­stoß von 50 Mil­li­gramm pro Mei­le, was in etwa 50 % des­sen ent­spricht, was die Euro­pä­er nach der Euro-6-Norm erlau­ben. Die Abgas­wer­te von Die­sel­fahr­zeu­gen, die auf dem ame­ri­ka­ni­schen Markt deut­lich unter­re­prä­sen­tiert, da unbe­liebt sind, las­sen sich dabei nur mit tech­nisch auf­wän­di­gen Mit­teln redu­zie­ren, so z.B. durch den Ein­satz eines Par­ti­kel­fil­ters und durch die Zuga­be einer Harn­stoff­lö­sung (sog. „Adblue“). Wie inso­weit der Pres­se zu ent­neh­men, soll die Soft­ware in die­sem Bereich kor­ri­gie­rend ein­ge­grif­fen haben. Außer­halb der Test­läu­fe auf dem Prüf­stand und somit im rea­len Fahr­be­trieb soll über ein „Switch“ die Zuga­be von „Adblue“ ver­rin­gert wor­den sein, mit der Fol­ge, dass die Emis­sio­nen deut­lich anstie­gen. Hin­ter­grund dafür soll sein, dass im nor­ma­len Fahr­be­trieb bei star­ker Beschleu­ni­gung, Stei­gun­gen usw. deut­lich mehr gif­ti­ge Abga­se ent­ste­hen und der „Ablue“-Verbrauch dadurch rapi­de ansteigt, mit der Fol­ge, dass der Vor­rat inner­halb kur­zer Zeit in der Werk­statt auf­ge­füllt wer­den müss­te – was inso­weit einen Attrak­ti­vi­täts- und Wett­be­werbs­nach­teil dar­stel­len wür­de. Die Soft­ware soll erkannt haben, wann ein Test­lauf vor­liegt und sodann auf die nor­ma­le Zuga­be von „Adblue“ umge­stellt haben. Wie der Pres­se zu ent­neh­men ist, sol­len dadurch die gif­ti­gen Stick­stoff­oxid-Emis­sio­nen auf das bis zu 40-Fache ange­stie­gen sein.1

Laut VW 11 Mil­lio­nen Fahr­zeu­ge: Wel­che Fahr­zeu­ge sol­len betrof­fen sein?

Volks­wa­gen selbst hat laut ent­spre­chen­der Pres­se­mit­tei­lun­gen ange­ge­ben, dass „Fahr­zeu­ge mit Moto­ren vom Typ EA 189 mit einem Gesamt­vo­lu­men von welt­weit rund elf Mil­lio­nen Fahr­zeu­gen auf­fäl­lig sein sol­len und dass aus­schließ­lich bei die­sem Motor­typ eine auf­fäl­li­ge Abwei­chung zwi­schen Prüf­stands­wer­ten und rea­lem Fahr­be­trieb fest­ge­stellt wor­den sei“.2

Da aber sicher­lich längst nicht jeder Ver­brau­cher weiß, wel­cher Motor­typ in sei­nem Fahr­zeug ver­baut ist, fragt sich natür­lich, wel­che Model­le kon­kret betrof­fen sein könn­ten. Es scheint wohl so zu sein, dass der Motor weit ver­brei­tet ist, laut Bericht des Tages­spie­gels3 han­delt es sich um einen „Welt­mo­tor, der nicht nur bei VW ein­ge­setzt wird. Der soge­nann­te Kon­zern­mo­tor wird auch bei den Töch­tern Audi, Sko­da und Seat ver­baut.“ Wei­ter heißt es: „Dadurch dürf­ten vie­le Auto­fah­rer betrof­fen sein, die noch gar nichts davon ahnen. Der Die­sel-Motor Typ EA 189 ist in zwei Hub­raum-Vari­an­ten mit einem Volu­men von 1,6 und 2,0 Litern ver­füg­bar. Damit stellt er das Gros der Die­sel-Antrie­be im Volks­wa­gen­kon­zern und so gut wie alle Vier­zy­lin­der-Die­sel im Kon­zern. Nach den bis­her vor­lie­gen­den Infor­ma­tio­nen sind alle Moto­ren seit 2008 betrof­fen, die noch nicht die Abgas­norm Euro 6 erfül­len. Und selbst bei den Moto­ren der neu­en Gene­ra­ti­on ist noch nicht klar, inwie­weit sie nicht auch mani­pu­liert sein könn­ten. Klar­heit kann hier wohl nur Volks­wa­gen schaf­fen“. Schließ­lich heißt es: „Bei Volks­wa­gen ist fast die gesam­te Modell­pa­let­te betrof­fen. Nur der klei­ne VW Up, der VW Polo und die bei­den gro­ßen VW Phae­ton und VW Toua­reg wer­den nicht mit dem 2.0 TDI oder der Vari­an­te mit gerin­ge­rem Hub­raum ange­bo­ten. Ähn­lich sieht es bei Seat aus. Alle Model­le ober­halb des Seat Ibi­za haben den Motor Typ EA 189 im Ange­bot. Glei­ches gilt für Sko­da, wo nur für den Fabia kei­ne Moto­ren vom Typ EA 189 ange­bo­ten wer­den. Bei Audi gibt es besag­te Moto­ren vor allem in den Bau­rei­hen A1, A3 und A4. Aber auch der Audi A6 wird mit dem 2.0 TDI ange­bo­ten.“ Bewahr­hei­ten sich die­se Aus­sa­gen, dürf­ten die Dimen­sio­nen rie­sig sein.

Recht­li­ches: Bestehen Gewähr­leis­tungs­an­sprü­che oder gar ein Rück­tritts- und Anfech­tungs­recht?

Sobald klar ist, ob das eige­ne Fahr­zeug des End­kun­den betrof­fen ist, stellt sich die Fra­ge, ob und inwie­weit der End­kun­de Ansprü­che gel­tend machen kann. Eine ers­te Ein­schät­zung:

Gewähr­leis­tungs­an­sprü­che

Um die im Bereich des Schuld­rechts vor­ge­se­he­nen Rech­te, ins­be­son­de­re einen Anspruch auf Nach­bes­se­rung oder Min­de­rung gel­tend zu machen oder sogar den Rück­tritt erklä­ren zu kön­nen, müss­te das Fahr­zeug einen Sach­man­gel auf­wei­sen. Dies ist nach dem Gesetz der Fall, wenn es bei Über­ga­be an den Käu­fer nicht die ver­ein­bar­te Beschaf­fen­heit hat, wobei zu eben die­ser Beschaf­fen­heit auch die Eigen­schaf­ten gehö­ren, die der Käu­fer nach den öffent­li­chen Äuße­run­gen des Ver­käu­fers, des Her­stel­lers oder sei­nes Gehil­fen ins­be­son­de­re in der Wer­bung oder bei der Kenn­zeich­nung über bestimm­te Eigen­schaf­ten der Sache erwar­ten kann. Eine Aus­nah­me hier­zu besteht nur dann, wenn der Ver­käu­fer die Äuße­rung nicht kann­te und auch nicht ken­nen muss­te, oder wenn die Äuße­rung im Zeit­punkt des Ver­trags­schlus­ses in gleich­wer­ti­ger Wei­se berich­tigt war oder die Kauf­ent­schei­dung nicht beein­flus­sen konn­te.

Dar­aus folgt, dass nach dem Gesetz ein Abgas­wert sowohl indi­vi­du­ell zwi­schen den Par­tei­en (so z.B. im Kauf­ver­trag oder der Ver­kaufs­be­schrei­bung) als auch durch ent­spre­chen­de Anga­ben in der Wer­bung, in Pro­spek­ten etc. ver­ein­bart wer­den kann und dass es sich dann um eine ver­ein­bar­te Beschaf­fen­heit han­deln dürf­te.

Ein Abruf von Ver­kaufs­an­ge­bo­ten auf gro­ßen Inter­net­ver­kaufspor­ta­len wie mobile.de und autoscout24.de zeigt, dass in so gut wie­der jeder Ver­kaufs­an­zei­ge bereits in der Lis­ten­an­sicht der Such­ergeb­nis­se der jewei­li­ge Emis­si­ons­wert in g CO²/km genannt wird. Schon des­halb han­delt es sich nicht um eine unbe­deu­ten­de Fahr­zeug­ei­gen­schaft, die für die Kauf­ent­schei­dung des Käu­fers weni­ger rele­vant sein könn­te. Neben den Emis­si­ons­wer­ten wer­den u.a. auch die Lauf­leis­tung, das Datum der Erst­zu­las­sung und die Fahr­zeug­leis­tung ange­zeigt (z.B. aber nicht die Höchst­ge­schwin­dig­keit), was deut­lich macht, dass für die Annah­me, „es sei für die Kauf­ent­schei­dung egal, wel­che Emis­sio­nen das Fahr­zeug ver­ur­sacht“, kein Raum sein dürf­te. Außer­dem: Die Kraft­fahr­zeug­steu­er für Kraft­rä­der und Per­so­nen­kraft­wa­gen bemisst sich nach § 8 Kraft­StG nach dem Hub­raum (bei Hub­kol­ben­mo­to­ren) und bei PKW zusätz­lich nach spe­zi­fi­schen Schad­stoff­emis­sio­nen und Koh­len­stoff­di­oxid­emis­sio­nen je gefah­re­nem Kilo­me­ter. Der Schad­stoff­aus­stoß von Kraft­fahr­zeu­gen ist nicht nur gene­rell für die Kauf­ent­schei­dung von Bedeu­tung, son­dern die­se soll beein­flusst wer­den, indem der­je­ni­ge, der ein Kraft­fahr­zeug mit einem gerin­ge­ren Schad­stoff­aus­stoß erwirbt, steu­er­lich begüns­tigt wird. Abge­se­hen davon kann dem Käu­fer, der aus beson­de­rem Umwelt­be­wusst­sein her­aus ein Fahr­zeug mit einem gerin­gen Schad­stoff­aus­stoß erwirbt, nicht ent­ge­gen­hal­ten wer­den, die Schad­stoff­emis­sio­nen hät­ten letzt­lich kei­ne Aus­wir­kun­gen auf die Kauf­ent­schei­dung gehabt.

Ein Sach­man­gel dürf­te daher nach der hier ver­tre­te­nen Auf­fas­sung wohl gege­ben sein, sodass dann auch Gewähr­leis­tungs­an­sprü­che zuguns­ten des Käufers/Endkunden bestehen dürf­ten.

Wei­ter­ge­hend stellt sich dabei aber durch­aus die Fra­ge, ob der Sach­man­gel im Wege der Nach­er­fül­lung besei­tigt wer­den könn­te: Bewahr­hei­tet sich z.B., dass die ange­ge­be­nen Abgas­wer­te z.B. nur dann erreicht wer­den kön­nen, wenn „Adblue“ in so hoher Kon­zen­tra­ti­on zuge­setzt wird, dass mit kur­zen Werk­statt­in­ter­val­len und zusätz­li­chen Kos­ten für die Wie­der­auf­fül­lung zu rech­nen ist, dro­hen dem Käu­fer wei­te­re Nach­tei­le, die ihrer­seits wie­der­um nicht mit der ver­ein­bar­ten Beschaf­fen­heit, wie z.B. sei­tens des Her­stel­lers genann­ten Ser­vice­in­ter­val­len, in Ein­klang zu brin­gen sein dürf­ten. Abge­se­hen davon müss­te der Käu­fer von zusätz­li­chen War­tungs­kos­ten frei­ge­stellt wer­den. Wie ist damit in recht­li­cher Hin­sicht umzu­ge­hen?

Dass im Wege einer Rück­ruf­ak­ti­on ein Fahr­zeug so nach­ge­rüs­tet wer­den kann, dass die ver­ein­bar­ten Emis­si­ons­wer­te ein­ge­hal­ten wer­den, könn­te zwei­fel­haft sein, ist aber auch abhän­gig von tech­ni­schen Fra­gen. Bewahr­hei­tet sich, dass die tat­säch­li­chen Wer­te im Fahr­be­trieb um das 40-Fache des Labor­werts abwei­chen, wäre zu klä­ren, wie weit die tat­säch­li­chen Wer­te von den zuläs­si­gen Wer­ten abwei­chen und ob die­se in den zuläs­si­gen Bereich zurück­ge­führt wer­den kön­nen. Dies wäre sach­ver­stän­dig zu klä­ren. Es fin­den sich inso­weit Stim­men, die die Auf­fas­sung ver­tre­ten, dass die Ent­wick­lung von Die­sel­mo­to­ren tech­nisch „am Ende“ und „aus­ge­reizt“ ist, so dass sich Ver­bes­se­run­gen nicht mehr errei­chen las­sen4, wes­halb Zwei­fel bestehen, dass eine Rück­ruf­ak­ti­on ziel­füh­rend sein könn­te.

Besteht ein Rück­tritts­recht?

Frag­lich ist, ob dem Käu­fer ein Recht zum Rück­tritt vom Kauf­ver­trag zuste­hen könn­te, so dass die­ser dann rück­ab­zu­wi­ckeln wäre.

In die­sem Zusam­men­hang dürf­te es recht­lich wohl maß­geb­lich auf die Fra­ge ankom­men, ob ein erheb­li­cher Sach­man­gel vor­liegt. Die­se The­ma­tik hat die Recht­spre­chung bereits in Zusam­men­hang mit der Fra­ge eines zu hohen Kraft­stoff­ver­brauchs beschäf­tigt. In der Recht­spre­chung ist aner­kannt, dass die dies­be­züg­li­chen Pro­spekt­an­ga­ben zwar im All­tags­ge­brauch des kon­kret erwor­be­nen Fahr­zeugs nicht erreicht wer­den müs­sen, da die tat­säch­li­chen Ver­brauchs­wer­te von zahl­rei­chen Ein­flüs­sen und der indi­vi­du­el­len Fahr­wei­se des Nut­zers abhän­gen und des­halb nicht mit den Pro­spekt­an­ga­ben gleich­ge­setzt wer­den dür­fen, die auf einem stan­dar­di­sier­ten Mess­ver­fah­ren beru­hen. Die im Pro­spekt ange­ge­ben Wer­te müs­sen aber unter den ent­spre­chen­den Test­be­din­gun­gen repro­du­zier­bar sein, was nur durch ein Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten geklärt wer­den kann. Ein erheb­li­cher Sach­man­gel, der den Käu­fer zum Rück­tritt vom Kauf­ver­trag berech­tigt, ist nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­ho­fes gege­ben, wenn nach dem Ergeb­nis eines sol­chen Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens der im Ver­kaufs­pro­spekt ange­ge­be­ne (kom­bi­nier­te) Ver­brauchs­wert um mehr als 10% über­schrit­ten wird (so etwa BGH NJW 2007, 2111).

Über­trägt man die Grund­sät­ze auf die Abgas­the­ma­tik und tref­fen die im Raum ste­hen­den Vor­wür­fe zu, dass ohne die Anwen­dung der Soft­ware die Schad­stoff­wer­te im All­tags­be­trieb um das 40-Fache im Ver­gleich zu den Mes­sun­gen auf dem Prüf­stand im Labor abwei­chen, stellt sich die Fra­ge, ob die zuläs­si­gen Wer­te noch ein­ge­hal­ten wer­den kön­nen oder nicht. Wird die von der Recht­spre­chung mög­li­cher­wei­se hin­zu­neh­men­de Abwei­chung von 10 % über­schrit­ten, dürf­te sich die Fra­ge der Erheb­lich­keit nicht mehr stel­len. Bewahr­hei­tet sich dann noch, dass es tech­nisch gege­be­nen­falls gar nicht mög­lich ist, die ver­ein­bar­ten Wer­te exakt oder aber im Ansatz zu errei­chen, dürf­te dies umso mehr gel­ten. Selbst für den Fall, dass „nur“ häu­fi­ge­re Werk­statt­auf­ent­hal­te und Zusatz­kos­ten im Raum stün­den, dürf­te der Man­gel nach der hier ver­tre­te­nen Auf­fas­sung erheb­lich sein. Letzt­lich also ist nach hier ver­tre­te­ner Auf­fas­sung sogar ein Rück­tritts­recht denk­bar.

Sind Ansprü­che gege­be­nen­falls ver­jährt?

Nach den bekann­ten Infor­ma­tio­nen dürf­ten der Motor EA 189 etwa seit 2008 ver­baut wor­den sein. Da für Neu­fahr­zeu­ge nach dem Gesetz Gewähr­leis­tungs­an­sprü­che bin­nen zwei Jah­ren ab Lieferung/Übergabe ver­jäh­ren und für Gebraucht­fahr­zeu­ge zumeist eine ver­kürz­te Ver­jäh­rungs­frist von einem Jahr gilt, ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass die­se Fris­ten in vie­len Fäl­len bereits abge­lau­fen sind, wenn die Ver­jäh­rung nicht gehemmt wur­de. Ins­be­son­de­re für Fahr­zeu­ge, die in den Jah­ren 2013 bis heu­te 2015 an den End­kun­den ver­äu­ßert und gelie­fert wur­den, dürf­te daher die Prü­fung und gege­be­nen­falls Ein­lei­tung ver­jäh­rungs­hem­men­der Maß­nah­men sinn­voll sein, um sich mög­li­che Ansprü­che zu erhal­ten.

Eine Ver­jäh­rungs­frist von drei Jah­ren besteht dann, wenn delikt­i­sche Ansprü­che – hier ins­be­son­de­re unter dem Gesichts­punkt der arg­lis­ti­gen Täu­schung, dazu nach­fol­gend – in Betracht kom­men. Auch in die­sem Fall dürf­te es sinn­voll sein, ver­jäh­rungs­hem­men­de Maß­nah­men zu prü­fen und gege­be­nen­falls zu ergrei­fen.

Anfecht­bar­keit des Kauf­ver­tra­ges wegen arg­lis­ti­ger Täu­schung?

Schließ­lich stellt sich zwangs­läu­fig auch die Fra­ge, ob der Käu­fer sogar berech­tigt sein könn­te, einen Fahr­zeug­kauf­ver­trag wegen arg­lis­ti­ger Täu­schung anzu­fech­ten. Die Hür­den, die hier­bei zu neh­men sind, sind jedoch der­art hoch, dass in jedem Fall Zurück­hal­tung gebo­ten ist. Es sind hier die wei­te­ren Ent­wick­lun­gen abzu­war­ten.

Und den­noch: Berück­sich­tigt man die schon jetzt recher­chier­ba­ren Infor­ma­tio­nen, lässt sich ein Anfech­tungs­recht anhand der Gesamt­um­stän­de nicht aus­schlie­ßen:

  • In den USA soll das US-Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um nach ent­spre­chen­den Berich­ten bereits straf­recht­li­che Ermitt­lun­gen auf­ge­nom­men haben. Gegen­stand könn­ten hier sowohl mög­li­che Straf­ta­ten wie Betrug als auch mut­maß­li­che Ver­stö­ße gegen Umwelt­ge­set­ze sein. Wei­ter­hin soll es so sein, dass die Staats­an­walt­schaft in Braun­schweig prüft, ob sie eben­falls ein Ermitt­lungs­ver­fah­ren ein­lei­tet.5
  • Zwar soll BOSCH Bau­tei­le, die hier rele­vant sein könn­ten, gelie­fert haben, die Kom­po­nen­ten sei­en aber „nach Spe­zi­fi­ka­ti­on von Volks­wa­gen gefer­tigt wor­den und die Ver­ant­wor­tung für Appli­ka­ti­on und Inte­gra­ti­on der Kom­po­nen­ten lie­ge bei VW.” Aus den Unter­la­gen der US-Umwelt­be­hör­de soll zudem her­vor­ge­hen, dass VW selbst die Soft­ware zur Mani­pu­la­ti­on der Abgas­nach­be­hand­lung pro­gram­miert hat.“ 5

Dar­aus folgt, dass offen­sicht­lich plan­voll und ziel­ge­rich­tet gehan­delt wor­den sein dürf­te, VW sich ins­be­son­de­re nicht auf den Zukauf von fer­ti­gen Bau­tei­len beschränkt hat, son­dern selbst maß­geb­lich han­delnd die Vor­gän­ge gelenkt und in die gewünsch­te Rich­tung gelei­tet hat. Es dürf­ten daher ziel­ge­rich­tet die Emis­si­ons­wer­te im Zuge der Labor­prü­fung beein­flusst wor­den sein, obwohl die­se im tat­säch­li­chen Betrieb deut­lich höher sind. Dass die Ziel­set­zung inso­weit der Ver­kauf von Fahr­zeu­gen und eine bes­se­re Markt­po­si­ti­on gewe­sen sein dürf­te, und zwar ins­be­son­de­re auf dem „Die­sel-kri­ti­schen“ ame­ri­ka­ni­schen Markt, dürf­te dabei auf der Hand lie­gen.

Es wird aber wohl die Auf­fas­sung ver­tret­bar sein, dass sich die­ses Ver­hal­ten gera­de auch auf das Kauf­ver­hal­ten und den Kauf­ent­schluss deut­scher Kun­den aus­ge­wirkt haben könn­te: In Zei­ten, in denen die öko­lo­gi­schen Gesichts­punk­ten des PKW-Betriebs immer stär­ker in den Vor­der­grund gerückt wer­den, sind – wie vor­ste­hend schon aus­ge­führt – die „klas­si­schen“ Fahr­zeug­merk­ma­le wie Leis­tung, Höchst­ge­schwin­dig­keit und Platz­an­ge­bot längst nicht mehr allein maß­ge­bend, son­dern gera­de auch die öko­lo­gi­schen Eigen­schaf­ten des Fahr­zeugs, somit auch die Emis­si­ons­wer­te, zumal sich dar­an die zu leis­ten­de Kraft­fahr­zeug­steu­er bemisst, wes­halb sich die­se Wer­te auch im „Porte­mon­naie“ des Kun­den bemerk­bar machen. Dadurch, dass Emis­si­ons­wer­te durch den Ein­satz von Mani­pu­la­ti­ons­soft­ware nach unten geschönt wer­den, wird in jedem Fall auch Ein­fluss auf den Kauf­ent­schluss des Kun­den genom­men. Ein Fahr­zeug mit deut­lich höhe­ren Wer­ten wäre am Markt näm­lich nicht kon­kur­renz­fä­hig.

Nur dann, wenn die Emis­si­ons­wer­te einen Ein­fluss auf die Kauf­ent­schei­dung haben, lohnt die Mani­pu­la­ti­on – es dürf­te daher sogar so sein, dass es VW ein­zig und allein um die Beein­flus­sung der Kauf­ent­schei­dung gegan­gen ist.

Davon abge­se­hen bleibt letzt­lich noch die Fra­ge, ob sich der Händ­ler, mit dem der Kun­de den Kauf­ver­trag über das Fahr­zeug geschlos­sen hat, die ihm sicher­lich unbe­kann­ten Mani­pu­la­tio­nen durch den Her­stel­ler zurech­nen las­sen muss. Gemäß § 123 BGB ist eine Erklä­rung, wenn ein Drit­ter die Täu­schung ver­übt hat, nur dann anfecht­bar, wenn der Ver­trags­part­ner die Täu­schung kann­te oder ken­nen muss­te. Muss sich der Händ­ler — ins­be­son­de­re der VW-Ver­trags­händ­ler — das Ver­hal­ten des Her­stel­lers nach Bil­lig­keits­ge­sichts­punk­ten und Treu und Glau­ben zurech­nen las­sen, so dass VW im Ver­hält­nis zum Händ­ler eben kein „Drit­ter“ ist, oder ist der Ver­trag nur anfecht­bar, wenn der Händ­ler die Mani­pu­la­ti­on des Her­stel­ler kann­te oder ken­nen muss­te, was erst nach den neus­ten Ent­hül­lun­gen der Fall sein dürf­te? Dies wird bei der Fra­ge nach der Anfecht­bar­keit der betref­fen­den Kauf­ver­trä­ge wegen arg­lis­ti­ger Täu­schung zumin­dest nach deut­schem Recht eine ent­schei­den­de Fra­ge sein.

Zusam­men­fas­sung und Aus­blick:

Im Ergeb­nis dürf­ten nach der hier ver­tre­te­nen Auf­fas­sung ins­be­son­de­re Gewähr­leis­tungs­an­sprü­che prin­zi­pi­ell in Betracht kom­men, wobei auch ein Anfech­tungs­recht nicht gene­rell aus­ge­schlos­sen scheint. Ob und inwie­weit die­se denk­ba­ren Ansprü­che gericht­lich durch­ge­setzt wer­den kön­nen, bleibt indes abzu­war­ten und wird sicher­lich auch von tech­ni­schen Fra­ge­stel­lun­gen abhän­gig sein, die durch einen Sach­ver­stän­di­gen geklärt wer­den müss­ten.

Wün­schen Sie jetzt oder spä­ter eine wei­ter­ge­hen­de Prü­fung mög­li­cher Ansprü­che oder möch­ten Sie über die wei­te­ren Ent­wick­lun­gen „auf dem Lau­fen­den“ gehal­ten wer­den? Haben Sie ein Fahr­zeug erwor­ben und befürch­ten Sie, dass Ansprü­che ver­jäh­ren könn­ten, wes­halb die Prü­fung und gege­be­nen­falls Vor­nah­me ver­jäh­rungs­hem­men­der Maß­nah­men gewünscht wird? Schrei­ben Sie uns eine E‑Mail oder rufen Sie uns an und wir wer­den uns umge­hend mit Ihnen in Ver­bin­dung set­zen. Ger­ne über­neh­men wir für Sie in die­sem Fall auch die recht­li­che Ver­tre­tung.


Kars­ten Becker,
Rechts­an­walt

Am 30.09.2015 erschien zu die­sem Stand­punkt eine For­set­zung:
Update zur VW-Abgas-Mani­pu­la­ti­on

 

1 Arti­kel bei www.n‑tv.de, Titel: „Auto erkennt Tests. So funk­tio­niert der VW-Abgas-Trick“, abge­ru­fen am 23.09.2015, ver­öf­fent­licht am 22.09.2015 unter der Inter­net­adres­se http://www.n‑tv.de/wirtschaft/So-funktioniert-der-VW-Abgas-Trick-article15981356.html

2 Arti­kel bei www.focus.de, Titel: „Volks­wa­gen Abgas-Skan­dal. VW räumt ein: Mani­pu­la­ti­ons­soft­ware in 11 Mil­lio­nen Autos welt­weit“, abge­ru­fen am 23.09.2015 unter der Inter­net­adres­se http://www.focus.de/finanzen/boerse/volkswagen-abgas-skandal-vw-raeumt-ein-manipulationssoftware-in-11-millionen-autos-weltweit_id_4964295.html

3 Arti­kel bei www.tagesspiegel.de, Titel: „Die­sel-Gate: Der Abgas­skan­dal bei Volks­wa­gen. Wel­che Mar­ken und Model­le sind betrof­fen?“, abge­ru­fen am 23.09.2015, ver­öf­fent­licht am 23.09.2015 unter der Inter­net­adres­se http://www.tagesspiegel.de/mobil/diesel-gate-der-abgasskandal-bei-volkswagen-welche-marken-und-modelle-sind-betroffen/12354924.html

4 Arti­kel bei www.lng.jetzt, Titel: „Der gro­ße EURO 6 Betrug“, abge­ru­fen am 23.09.2015, ver­öf­fent­licht am 15.09.2015 unter der Inter­net­adres­se http://www.lng.jetzt/der-grose-euro-6-betrug/

5 Arti­kel bei www.sueddeutsche.de, Titel: „Bosch weist Mit­schuld an Abgas-Affä­re von sich“, abge­ru­fen am 23.09.2015, ver­öf­fent­licht am 23.09.2015 unter der Inter­net­adres­se http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/manipulation-bei-vw-bosch-weist-mitschuld-an-abgas-affaere-von-sich‑1.2660932

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Über den Autor

  • Karsten Becker

    Kars­ten Becker ist Rechts­an­walt seit 2009 und Fach­an­walt für Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Sei­ne Fach­ge­bie­te sind Zivil­recht, Pri­vat­recht, Miet­recht, WEG-Recht, Immo­bi­li­en­recht, Kauf­recht, Werk­ver­trags­recht, Delikts­recht und Rei­se­ver­trags­recht. Herr Becker ist seit Som­mer 2019 nicht mehr für uns tätig.