Update vom 8.10.2015: Volkswagen legt Zeit- und Maßnahmenplan vor.

Zum Thema Volkswagen-Abgas-Manipulation stellen wir Ihnen in dieser aktualisierten Übersicht neue Informationen zu Ihrer Information zur Verfügung.

VW ist der Aufforderung des Kraftfahrt Bundesamtes, bis zum 07.10.2015 einen konkreten Plan zur Vorgehensweise vorzulegen, nachgekommen. Danach ist es so, dass für Fahrzeuge,

  • mit einem 2,0-Liter Motor eine Software-Lösung ausreichend sein soll (Software soll bis zum Ende des Jahres 2015 vorliegen und ab Anfang 2016 eingebaut werden).
  • mit einem 1,6-Liter Motor zusätzlich eine „motortechnische Anpassung“ erforderlich sein soll (was das genau bedeutet, ist unklar). Die Lösung für die 1,6-Liter Motoren soll wohl auch nicht vor September 2016 erfolgen – ob dies akzeptiert wird, bleibt abzuwarten, weil nach entsprechenden Berichten rund 3,6 Millionen Fahrzeuge mit einem solchen 1,6-Liter Motor ausgestattet sein sollen.
  • die mit einem 1,2-Liter Motor ausgestattet sind, seitens des Bundesverkehrsministers keine Details zu geplanten Maßnahmen genannt wurden.

Aktualisierter Überblick zu Fragen im Zusammenhang mit Gewährleistung und Schadensersatz

Ausgangslage: Vorliegen eines Sachmangels

In Ergänzung des Standpunkts vom 25.09.2015 liegt der Fokus vor allem auch auf den Stickoxidemissionen (NOX). Die in den USA zulässigen Werte für NOX liegen deutlich unterhalb der Grenzwerte in Deutschland, sodass Rückschlüsse nicht ohne Weiteres möglich sind. Maßgeblich sind in Deutschland die zulässigen Abgaswerte in Abhängigkeit von der jeweiligen Euro-Abgasnorm. Grundsätzlich dürfte in der Gesamtbetrachtung und wohl auch bei isolierter Betrachtung der NOX-Werte ein Sachmangel vorliegen, was erst recht dann gilt, wenn die Grenzwerte der Abgasnormen nicht eingehalten werden. An der Ausgangslage, das ein Sachmangel vorliegt, ändert sich insoweit nach der hier vertretenen Auffassung erst einmal nichts. Darüber hinaus mag man darüber nachdenken, ob der Einbau einer manipulierten Software selbst schon als Sachmangel qualifiziert werden kann, unabhängig von der Frage, welche Auswirkungen deren Einsatz auf die Abgas-/Stickoxid-Emissionen hat. Vertretbar dürfte es sein, bereits die Software als Sachmangel zu qualifizieren (Installation sicherlich nicht üblich und auch nicht vereinbart).

Zu weiteren möglichen und diskutierten Sachmängeln:

  • Auswirkungen auf die Kfz-Steuer: Der Meinung, dass die Stickoxidemissionen grundsätzlich nicht relevant sein können, kann so nicht zugestimmt werden, da in die Berechnung der Steuer auch die Abgasnorm einfließen dürfte, die aber wiederum Grenzwerte für NOX enthält. Mittelbar besteht ein Zusammenhang. Was die Abgasemissionen insgesamt betrifft, bleibt es bei der Auffassung im Standpunkt vom 25.09.2015.
  • Betriebserlaubnis / „Umweltplakette“: Hier wird entscheidend sein, wie sich das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) weiter positioniert und welche Entwicklungen sich noch ergeben. Theoretisch denkbar sind in diesem Zusammenhang sämtliche Verläufe bis hin zum Entzug der Betriebserlaubnis – wobei dann ohne Weiteres ein Sachmangel zu bejahen wäre.

Gewährleistungsansprüche

Da nach hier vertretener Auffassung ein Sachmangel vorliegt, bestehen Gewährleistungsansprüche dem Grunde nach, vorausgesetzt, diese sind nicht verjährt. Dazu in Ergänzung der Ausführungen im Standpunkt vom 25.09.2015:

  • Wird ein Neufahrzeug bei einem Händler als Privatperson gekauft, beträgt die Gewährleistungsfrist ab dem Zeitpunkt der Übergabe 2 Jahre. Handelt es sich um ein Gebrauchtfahrzeug, das von der Privatperson erworben wird, so beträgt die Gewährleistungsfrist meist 1 Jahr, es müssen aber die Verkaufsbedingungen geprüft werden.
  • Beim Kauf eines Neufahrzeugs durch Unternehmer beträgt die Frist 1 Jahr, bei Gebrauchtfahrzeugen ist zu beachten, dass die Frist ausgeschlossen werden kann, wovon in den meisten Fällen Gebrauch gemacht werden dürfte.

Entscheidend für die Berechnung der Fristen ist nach der gesetzlichen Regelung des § 438 Abs. 2 BGB der Zeitpunkt der Ablieferung der Sache.

 

Unsere aktuelle Handlungsempfehlung:

Wenn Sie sich noch innerhalb der Gewährleistung befinden, ist es anzuraten, von den Rechten Gebrauch zu machen und auf eine Verjährungshemmung hinzuwirken. In Anbetracht der jetzt veröffentlichen Planungen ist es nunmehr möglich, zu einem möglichen Vorgehen weitergehend Stellung zu nehmen. Hierzu beraten wir Sie gern und übernehmen auch gerne die notwendigen Schritte. Kontaktieren Sie uns telefonisch oder per E-Mail.

Hintergrund:

Wie sich die Dinge entwickeln, ist unklar. Auch wenn die Politik betont, man gehe davon aus, dass VW in der Lage sei, das Problem technisch zu lösen, ist dies nicht gewiss. Wie schon im Standpunkt „Volkswagen – Manipulierte Abgaswerte und Gewährleistungsansprüche“ dargestellt, ist es möglich, dass die angekündigten Maßnahmen zwar die Abgasproblematik beseitigen, aber die Leistungsparameter nachteilig verändert werden.

Bei näherer Betrachtung in Ergänzung der bisherigen Auffassung wäre sowohl die Annahme eines neuen Sachmangels als auch eine Unmöglichkeit bzw. die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung die Folge, weil sich der eine Mangel unmöglich beseitigen lässt und die „Einbußen“ – z.B. an Leistung – für den Kunden unzumutbar sind.

  • Ein Sachmangel im Sinne des § 434 Abs. Satz 1 BGB bei einem fabrikneuen Pkw kann schon dann vorliegen, wenn die Abweichung der tatsächlichen von der vertraglich vereinbarten Motorleistung weniger als 10% beträgt. Ein zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigender, erheblicher Sachmangel liegt jedenfalls dann vor, wenn entsprechend der Richtlinie 80/1269/EWG (Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Motorleistung von Kraftfahrzeugen) die tatsächlich festgestellte Motorleistung unter Berücksichtigung einer diesbezüglichen Toleranz von +/- 5% unterhalb einer Toleranzbreite von +/- 5% bezogen auf die zugesicherte Motorleistung liegt.
    LG Traunstein, Urt. v. 10.11.2006, Az. 7 O 1018/06
  • Ein Sachmangel liegt vor, wenn die für die Motorleistung erforderliche Drehzahl im gewöhnlichen Fahrbetrieb nicht erreicht werden kann und die maximal zu erzielende Motorleistung um ca. 10% hinter der vereinbarten Motorleistung zurückbleibt.
    LG Nürnberg-Fürth (Urt. v. 06.05.2014, Az. 12 O 8712/12)
  • Das Rücktrittsrecht des Käufers ist bei einer zu der vertraglich vereinbarten Motorleistung abweichenden Minderleistung von 11% bzw. von 8,09% nicht nach § 323 Abs. 5 BGB ausgeschlossen. Auch eine Abweichung von 8,09% begründet eine erhebliche Pflichtverletzung i. S. von § 323 Abs. 3 BGB.
    LG Wuppertal (Urt. v. 16.11.2010, Az. 16 O 134/08)

Mit der Rechtsprechung lässt sich daher – bei entsprechender Abweichung – die Auffassung vertreten, dass die Nacherfüllung unzumutbar ist.

Das uneingeschränkte Abwarten jedenfalls, zu welchem Ergebnis die angekündigten Maßnahmen von Volkswagen führen, kann daher durchaus ein Risiko darstellen und ist so nicht zu empfehlen.

Weitergehende Überlegungen:

Gerade wegen der bestehenden Unsicherheiten und möglicher Mängel bzw. einer Unmöglichkeit/Unzumutbarkeit der Nacherfüllung im Zusammenhang mit den angekündigten Maßnahmen stellt sich die Frage, ob eine Beweissicherung sinnvoll und hilfreich sein könnte. Diese Frage hat uns in den zurückliegenden Tagen auch wiederholt beschäftigt. Denkbare Ansatzpunkte:

  • Entscheidend sind die vereinbarten und die für das jeweilige Fahrzeug üblicherweise zu erwartende Fahrzeugeigenschaften unter Berücksichtigung der Angaben in Prospekten etc. Das, was z.B. leistungstechnisch daraus folgend geschuldet gewesen ist, muss mit dem nach den Maßnahmen vorhandenen „Ist-Zustand“ verglichen werden – bleiben dieser letztlich hinter dem, was geschuldet gewesen ist, zurück, liegt ein neuer Sachmangel vor oder die Nacherfüllung ist unzumutbar oder unmöglich.
  • Ein Vergleich der Beschaffenheit und vor allem der Abgas- und Leistungswerte nach Durchführung der Maßnahmen mit den konkreten Werten zum Zeitpunkt vor Durchführung der Maßnahmen ist nur dann möglich, wenn diese vorher gesichert und festgestellt werden konnten. Um also z.B. zu wissen, welche Abgas-/Stickoxidemissionen und welche Leistungsdaten konkret und aktuell vorliegen (mit und/oder ohne Eingriff der Software), muss der aktuelle Zustand festgestellt werden.

Zu beachten ist aber:

Das, was der Kunde verlangen darf und was der Vertragspartner schuldet, ist definiert durch den Vertrag. Einen Anspruch darauf, dass z.B. Leistungswerte erhalten bleiben, die durch den Einsatz der Software erst erreicht werden und die möglicherweise oberhalb desjenigen liegen, was vertraglich geschuldet gewesen ist, dürfte nicht bestehen. Entscheidend ist also, ob und wenn ja in welchem Umfang eine Abweichung zwischen vertraglichem „Soll-Zustand“  und tatsächlichem „Ist-Zustand“ vorliegt. Beispiel: Sind im Vertrag 140 PS angegeben, hat das Fahrzeug aktuell mit Software-Einsatz 150 PS und nach den Maßnahmen zur Anpassung der Abgaswerte und ohne „Software-Einsatz“ 135 PS, dürfte für die Frage der Mangelhaftigkeit die Diskrepanz von 5 PS zwischen Vertrag („Soll-Beschaffenheit“) und gemessenem Wert („Ist-Beschaffenheit“) entscheidend sein. Berücksichtigt man die Rechtsprechung, ist nicht klar, ob es sich um eine unzumutbare Nacherfüllung handelt, denn die Abweichung läge bei unter 5 %.

Mögliche Handlungsempfehlung daher:

Es könnte sinnvoll sein, den aktuellen Zustand vor den angekündigten Maßnahmen zu sichern, um einen Gesamtüberblick zu erhalten, falls eine weitergehende Auseinandersetzung erforderlich werden sollte. Es wäre hier an die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens zu denken, wobei zum einen die Verfahrensdauer beachtet werden muss, zum anderen aber auch, dass das laufende Verfahren mit dem Maßnahmenplan von Volkswagen zeitlich kollidieren könnte (dürfte). Auch zu denken wäre an eine privatgutachterliche Feststellung, der jedoch im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens insoweit kein (entscheidender) Beweiswert zukommen dürfte, aber argumentativ verwertet werden könnte.

Insbesondere: Rücktritt vom Kaufvertrag

Der Rücktritt ist an strenge Voraussetzungen geknüpft. Es erfordert zunächst das Vorliegen eines Sachmangels. Zunächst ist dem Verkäufer die Möglichkeit zur Nacherfüllung unter Fristsetzung einzuräumen, es sein denn, die Fristsetzung ist entbehrlich, z.B. weil unter Abwägung beiderseitiger Interessen ein sofortiger Rücktritt gerechtfertigt ist, wobei der Sachmangel auch erheblich sein müsste (insoweit ist auch zu verweisen auf die Ausführungen im ersten Standpunkt zu diesem Thema).

Diese Frage dürfte vor allem diejenigen Kunden beschäftigen, die das Fahrzeug unter vornehmlich ökologischen Gesichtspunkten erworben haben. Da insoweit noch keine gerichtliche Feststellung zu der Frage, ab wann abweichende Abgaswerte bzw. abweichende Stickoxid-Werte erheblich sind und einen Rücktritt rechtfertigen, lassen sich die Erfolgsaussichten einer sofort – ohne Durchführung der angekündigten Maßnahmen – auf Rückabwicklung gerichteten Klage nach Rücktrittserklärung nur sehr schwer prognostizieren. Es ist hier aber wohl Zurückhaltung geboten.

Sollten sich indes nach Durchführung der Maßnahmen neue Mängel zeigen bzw. die Unzumutbarkeit bzw. die Unmöglichkeit der Nacherfüllung herausstellen, wird sich  mit hoher Wahrscheinlichkeit kumulativ eine Erheblichkeit der Mängel nicht verneinen lassen und die Möglichkeit zum Rücktritt eröffnen.

Schadensersatz, Minderung, Anfechtung wegen arglistiger Täuschung

  • Ein Anspruch auf Schadensersatz auf vertraglicher Grundlage erfordert ein Verschulden des Vertragspartners. Ob ein Verschuldensvorwurf konkret dem Händler gemacht werden könnte, ist fraglich, vor allem auch unter dem Gesichtspunkt einer arglistigen Täuschung. Da der Händler wohl nicht von dem Einsatz der Software gewusst haben dürfte, dürfte für die Annahme einer Täuschung wenig Raum sein. Es bestehen daher auch nach wie vor überwiegende Zweifel, dass der Kaufvertrag gegenüber dem Verkäufer wegen arglistiger Täuschung angefochten werden kann.Sollte sich ein Verschulden des Händlers ergeben, würde sich dann die Frage stellen, wie die Höhe des Schadens zu berechnen ist. Da der Grundsatz gilt, dass der Geschädigte so zu stellen ist, wie er stehen würde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre, müsste der Schaden dargelegt werden (können), was – wie die Praxis zeigt – schwierig sein kann.
  • Ein Anspruch auf Schadensersatz auf gesetzlicher Grundlage könnte gegenüber dem Hersteller selbst in Betracht kommen. Denkbar sind Ansprüche gestützt auf §§ 823 Abs. 2 i.V.m. Schutzgesetzen (wie z.B. § 263 StGB – „Betrug“) oder 826 BGB, der den Fall der „vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung“ regelt. Diesbezüglich bestehen indes noch Unwägbarkeiten, weil die Aufklärung zeigen wird, wer wann was gegebenenfalls wusste, auch sind strafrechtliche Ermittlungen erst einmal abzuwarten.
    Es handelt sich um Ansprüche, die außerhalb der Gewährleistung und somit auch nach der Verjährung derselben geltend gemacht werden können. Hinzuweisen ist aber darauf, dass die Darlegungs- und Beweislast bei demjenigen liegt, der Ansprüche aus diesen Vorschriften geltend machen will.
  • Ein Anspruch auf Minderung erfordert das Vorliegen eines Sachmangels und das Bestehen von Gewährleistungsansprüchen. Bei der Berechnung der Minderung bestehen die identischen Schwierigkeiten wie bei der Berechnung des Schadensersatzes, sodass auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden kann.

Wünschen Sie jetzt oder später eine weitergehende Prüfung möglicher Ansprüche oder möchten Sie über die weiteren Entwicklungen „auf dem Laufenden“ gehalten werden? Haben Sie ein Fahrzeug erworben und befürchten Sie, dass Ansprüche verjähren könnten, weshalb die Prüfung und gegebenenfalls Vornahme verjährungshemmender Maßnahmen gewünscht wird?

 

Schreiben Sie uns eine E-Mail oder rufen Sie uns an und wir werden uns umgehend mit Ihnen in Verbindung setzen. Gerne übernehmen wir für Sie in diesem Fall auch die rechtliche Vertretung.

Damit uns die notwendigen Informationen vorliegen, um Ihre Anfrage beantworten zu können, wären wir dankbar, wenn Sie das von uns bereitgestellte Formular (PDF-Dokument) ausfüllen und an uns zurücksenden. Die Übersendung ist unverbindlich und erfolgt freiwillig, ein Mandatsverhältnis kommt nicht zustande.

 

Über den Autor

  • Karsten Becker

    Karsten Becker ist Rechtsanwalt seit 2009 und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Seine Fachgebiete sind Zivilrecht, Privatrecht, Mietrecht, WEG-Recht, Immobilienrecht, Kaufrecht, Werkvertragsrecht, Deliktsrecht und Reisevertragsrecht. Herr Becker ist seit Sommer 2019 nicht mehr für uns tätig.