Die Heranziehung unterhaltspflichtiger Kinder zum Elternunterhalt

I. Unterhalt der Eltern

Mit zunehmendem Alter bei gleichzeitig verbesserter medizinischer und pflegerischer Versorgung steigen im Falle der Pflegebedürftigkeit die Kosten. Genügt die eigene Rente und die etwaige Zahlung der Pflegeversicherung zur Finanzierung der Unterbringung- und Pflegekosten nicht, kann auf entsprechenden Antrag der Sozialhilfeträger im Rahmen der Sozialhilfe zur Deckung der Finanzierungslücke einspringen. Dieser Antrag kann von dem Pflegebedürftigen, jedoch auch von der Pflegeeinrichtung gestellt werden.

Nach einer Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB XII wird der Sozialhilfeträger Leistungen erbringen. In einem zweiten Schritt wird der Sozialhilfeträger dann allerdings prüfen, ob gegenüber Angehörigen ein Regress geltend gemacht werden kann.

Dieser Regress ist letztlich nichts anderes als die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen des Elternteils gegenüber den Kindern. Der Sozialhilfeträger kann diese Unterhaltsansprüche dabei nur auf zivilrechtlichem Weg geltend machen. Eine Festsetzung im Wege des Bescheides ist nicht möglich. Gemäß § 93 SGB XII ist der Sozialhilfeträger berechtigt, Unterhaltsansprüche des Elternteils im eigenen Namen gegenüber den Kindern geltend zu machen.

Der Unterhaltsanspruch der Eltern gegenüber ihren Kindern ist rechtlich schwach ausgebildet. Diverse Unterhaltsansprüche sind vorrangig. Vorrangig sind Unterhaltsansprüche der eigenen Kinder, des Ehepartners, des geschiedenen Ehepartners sowie sogar Unterhaltsansprüche der eigenen Enkelkinder. Erst wenn das unterhaltsverpflichtete Kind diese vorrangigen Unterhaltsansprüche bedient hat, kann seitens des bedürftigen Elternteils ein eigener Unterhaltsanspruch gegenüber dem Kind geltend gemacht werden.

Gesetzlich ausgeschlossen ist der Übergang von Unterhaltsansprüchen auf den Sozialhilfeträger, wenn der Unterhaltspflichtige mit der Leistungsberechtigten Person im zweiten Grad oder in einem entfernteren Grad verwandt ist. Stark eingeschränkt sind Unterhaltsansprüche von Eltern gegenüber ihren Kindern, wenn die Eltern eine Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung erhalten.

II. Anspruch auf Unterhalt

Nach § 1610 Abs. 1 BGB können Eltern (und somit gemäß § 93 SGB XII auch der Sozialhilfeträger) von ihren Kindern einen »angemessenen Unterhalt« verlangen. Ob ein Unterhalt angemessen in diesem Sinne ist, richtet sich im Wesentlichen nach der eigenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen der Eltern. Jedenfalls ist das Existenzminimum sicherzustellen.

Unterhalt kann nur verlangt werden, wenn und soweit der Lebensbedarf aus eigenen Mitteln nicht gedeckt werden kann. Daraus folgt, dass seitens des Elternteils sämtliche Einkünfte einzusetzen sind. Freibeträge sind hierbei nicht zu berücksichtigen. Das betroffene Elternteil ist grundsätzlich verpflichtet, alle zur Verfügung stehenden Einkünfte für den eigenen Lebensunterhalt zu verwenden. Ausnahmen sind beispielsweise Renten nach dem Opferentschädigungsgesetz oder dem Bundesentschädigungsgesetz.

Auch Vermögen ist einzusetzen. Dabei ist zwischen dem Vermögensstamm unter den Erträgen des Vermögens zu unterscheiden. Die Vermögenserträge (beispielsweise Zinsen) sind als Einkommen zu behandeln. Eine Unterhaltsbedürftigkeit besteht erst dann, wenn auch der Vermögensstamm verwertet ist. Eine Verwertung des Vermögensstammes kann nur dann unterbleiben, wenn dies unzumutbar, weil z.B. gänzlich unwirtschaftlich ist. So sind beispielsweise im Vermögensstamm vorhandene Grundstücke zu veräußern und der Verkaufserlös zur Deckung des Lebensunterhaltes einzusetzen. Schutzvorschriften zu Gunsten bestimmter Vermögensteile gibt es für den unterhaltsbedürftigen Elternteil – anders als für den Unterhaltsverpflichteten – nicht.

III. Einkommen und Vermögen des Kindes

Macht der Sozialversicherungsträger aus übergeleitetem Recht Unterhaltsansprüche des Elternteils gegenüber einem Kind geltend, weil vorrangig unterhaltsverpflichtete (gegebenenfalls geschiedene) Ehegatten ausnahmsweise nicht haftete oder vorverstorben ist, so ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Kindes festzustellen.

Wiederum ist zu unterscheiden zwischen einzusetzenden Einkommen des unterhaltsverpflichteten Kindes sowie dem Vermögen.

1. Einkommen

Das für die Leistungsfähigkeit entscheidende unterhaltsrelevante Einkommen des Unterhaltspflichtigen stimmt nicht notwendig mit dem von ihm zu versteuernden Einkommen überein. Zu berücksichtigen ist grundsätzlich Einkommen jeder Art, sofern es nur geeignet ist, Unterhaltsbedarf zu decken. Dazu zählen insbesondere Einkünfte aus abhängiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit, aus Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung, Gewerbebetrieb, Land- und Forstwirtschaft, ferner Steuererstattungen, geldwerte Leistungen des Arbeitgebers (z.B. Firmenwagen), der Vorteil des mietfreien Wohnens im eigenen Haus oder in der eigenen Eigentumswohnung, Einkommen aus unentgeltlicher Haushaltsführung für einen leistungsfähigen Dritten, Einkommen aus Überstunden, wenn diese berufstypisch sind oder nur in geringem Umfang anfallen, oder nach Billigkeit Einkommen aus überobligationsmäßiger Erwerbstätigkeit. Hat der Unterhaltspflichtige im Verhältnis zu seinem Ehegatten eine ungünstige Steuerklasse gewählt, ist dies durch einen zu schätzenden Abschlag bei der gezahlten Steuer zu berücksichtigen.

Das ermittelte Einkommen ist zu bereinigen. Dabei sollen dem unterhaltspflichtigen Kind vorrangig die finanziellen Mitteln verbleiben, die zur angemessenen Deckung des eigenen Lebensbedarfs und des Bedarfs der eigenen Familie nötig sind. Eine spürbare und dauerhafte Senkung des Berufs- und einkommenstypischen Lebensstandard brauchte das Kind nicht hinzunehmen, es sei denn das Kind führt ein Leben im Luxus – wie auch immer dies definiert werden soll.

Häufig wird statt des Betrages »zur angemessenen Deckung des eigenen Lebensbedarfs« ein Pauschalbetrag in einer Größenordnung von 1400,00 € bis 1600,00 € als »Eigenbedarf« berücksichtigt. Alsdann werden 50 % des darüber hinausgehenden Betrages des Einkommens für die Unterhaltsleistung berücksichtigt. Umgekehrt bedeutet dies in der heutigen Praxis, dass ein Pauschalbetrag in Abzug gebracht wird und sodann 50 % des weiterhin verbleibenden Einkommens unangetastet bleiben, die weiteren 50 % des Einkommens jedoch zur Unterhaltsleistung einzusetzen sind.

Diese häufig geübte Praxis, die sich an unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte orientiert, ist abzulehnen. Maßgeblich ist nicht eine wie auch immer bestimmte Pauschale. Maßgeblich ist der an der bisherigen Lebens- und Einkommensstellung orientierte angemessene Lebensbedarf bis zur Luxusgrenze.

Einkommensmindernd zu berücksichtigen sind bereits begründete finanzielle Verpflichtungen. Stichtag hierfür ist der Erhalt der »Rechtswahrungsanzeige« des Sozialleistungsträgers. Dies ist das Schreiben, mit welchem der Träger der Sozialhilfe das unterhaltsberechtigte Kind darüber in Kenntnis setzt, das gegebenenfalls Unterhaltsansprüche geltend gemacht werden und mit welchem Auskünfte über die Einkommens- und Vermögenssituation erbitten werden.

Verbindlichkeiten, die vor dem Erhalt dieses Schreibens begründet werden, sind grundsätzlich einkommensmindernd bei dem unterhaltsverpflichteten Kind zu berücksichtigen – jedenfalls solange »die Kirche im Dorf bleibt«.

Einkommensmindernd berücksichtigt werden auch Versicherungsprämien und -beiträge für die übliche Absicherung eines Privathaushaltes durch verschiedenste Versicherungen.

Wichtig ist auch, dass die eigene angemessene Altersvorsorge des in Anspruch genommenen Kindes den Unterhaltsansprüchen vorgeht. Anerkannt ist, dass die reine gesetzliche Rentenversicherung für die Eigenart des Absicherung nicht mehr ausreichend ist. Es werden daher weitere private Aufwendungen für eine zusätzliche Altersvorsorge anerkannt.

2. Vermögen

Vermögen des Unterhaltspflichtigen ist nur dann für die Unterhaltsleistung einzusetzen, wenn das bereinigte Einkommen nicht ausreicht, um den geforderten Unterhalt zu leisten.

Abermals ist zwischen dem Vermögensstamm und den Vermögenserträgen zu unterscheiden, wobei Vermögenserträge als Einkommen gelten.

Auch für Kinder gilt bei Inanspruchnahme auf Elternunterhalt der Grundsatz, dass der Stamm des Vermögens eingesetzt werden muss. Dies gilt nur dann nicht, wenn das Kind durch eine solche Verwertung von künftigen Einkünften abgeschnitten wird, die zur Erfüllung vorrangiger Verpflichtungen benötigt werden. Das Beispiel ist der Verkauf des vermieteten Mehrfamilienhauses mit dem damit verbundenen Wegfall der Mieteinnahmen.

Das selbstgenutzte Familienheim ist nicht einzusetzen. Dies gilt auch dann, wenn das eigene Haus unangemessen großzügig sein könnte. Auch eine Beleihung des Familienheims ist ausgeschlossen.

Unangetastet bleibt auch Vermögen, das für die eigene Altersversorgung angesammelt wurde. Zu berücksichtigen sind dabei allerdings auch die weiteren Maßnahmen der Altersvorsorge, die aus dem laufenden Einkommen bedient werden. Entscheidend ist letztlich der Einzelfall und die Darlegung der finanziellen Bedürfnisse für die eigene Altersabsicherung.

Anerkannt ist darüber hinaus eine Vermögensreserve von 25.000,00 €. Ferner ist anerkannt, dass in der Zukunft anstehende Investitionen wie beispielsweise Instandhaltungskosten des Familienheims oder die demnächst notwendige Anschaffung eines Fahrzeugs gleichfalls zu berücksichtigen sind, so dass die dafür eingeplanten Beträge nicht für den Unterhalt zu verwerten sind.

IV. Fazit

Unter sehr engen Voraussetzungen können Unterhaltsansprüche der Eltern gegenüber den eigenen Kindern und damit auch die Geltendmachung dieser Ansprüche durch den Sozialhilfeträger ausgeschlossen sein. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der betroffene Elternteil selbst seine Bedürftigkeit in vorwerfbarer Weise herbeigeführt hat oder seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem jetzt auf Unterhalt in Anspruch genommenen Kind grob vernachlässigt hat. Unterhaltsansprüche des Elternteils gegenüber den eigenen Kindern entfallen auch, wenn sich das Elternteil vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegenüber dem Kind schuldig gemacht hat.

Ob Ausschlussgründe vorliegen, ist stets anhand einer Einzelfallprüfung und der Abwägung aller maßgeblichen Umstände zu prüfen.

Es empfiehlt sich eine rechtzeitige Beratung. Ist der Sozialhilfeträger erst einmal tätig geworden und hat die Rechtswahrungsanzeige versandte, besteht letztlich kein Gestaltungsspielraum mehr.

 


Thomas Oedekoven, Rechtsanwalt

Fachgebiete
Versicherungsrecht
Sozialrecht
Medizinrecht
Arzthaftungsrecht

Über den Autor

  • Thomas Oedekoven

    Thomas Oedekoven ist zugelassen als Rechtsanwalt seit 2000 und Fachanwalt für Medizinrecht, Sozialrecht und für Versicherungsrecht. Zum Anwaltsprofil