1.

Wirft ein Pati­ent dem behan­deln­den Kran­ken­haus vor, wäh­rend der Behand­lung eine ver­meid­ba­re Keim­in­fek­ti­on erlit­ten zu haben, so stell­te dies den Vor­wurf einer Ver­trags­ver­let­zung dar. Der Kran­ken­haus­trä­ger hat mit der Auf­nah­me des Pati­en­ten auch die ver­trag­li­che Ver­pflich­tung gegen­über dem Pati­en­ten über­nom­men, die gel­ten­den Hygie­ne­stan­dards ein­zu­hal­ten.

Wie als­dann im Zivil­recht und Zivil­rechts­streit üblich, trägt der Pati­ent grund­sätz­lich die Beweis­last für den Ver­stoß gegen die gel­ten­den Hygie­ne­vor­schrif­ten und den dar­aus resul­tie­ren­den Scha­den.

 

2.

Zunächst ist fest­zu­hal­ten, dass nicht jede Keim­in­fek­ti­on im Kran­ken­haus bereits auto­ma­tisch einen ärzt­li­chen Behand­lungs­feh­ler begrün­det. Wis­sen­schaft­lich gesi­chert erscheint viel­mehr, dass lei­der auch bei Beach­tung aller erfor­der­li­chen Hygie­ne­maß­nah­men Keim­in­fek­tio­nen nicht immer ver­meid­bar sind und damit zum all­ge­mei­nen Lebens­ri­si­ko wäh­rend eines Kran­ken­haus­auf­ent­hal­tes gehö­ren.

Anders ist dies zu bewer­ten, wenn die Keim­in­fek­ti­on aus einem Arbeits­be­reich des Kran­ken­hau­ses resul­tiert, der voll­um­fäng­lich allein durch das Kran­ken­haus beein­flusst wer­den kann. Die Recht­spre­chung hat hier­zu die Figur des »voll­be­herrsch­ba­ren Risi­kos« ent­wi­ckelt. Die­se Rechts­fi­gur wird dann ange­wandt, wenn der Scha­den nach­weis­lich aus dem Orga­ni­sa­ti­ons­be­reich des Kran­ken­haus­ge­sche­hens resul­tiert und wie­der­um das Kran­ken­haus allein durch die Orga­ni­sa­ti­on und Koor­di­nie­rung des Behand­lungs­ver­laufs und der sons­ti­gen Ablauf­plä­ne den Ein­tritt des Scha­dens hät­te ver­hin­dern kön­nen. Für eine Keim­in­fek­ti­on wäh­rend eines sta­tio­nä­ren Auf­ent­halts bei­spiels­wei­se wür­de die Rechts­fi­gur des voll­be­herrsch­ba­ren Risi­kos dann ein­tre­ten, wenn das Kran­ken­haus die Keim­in­fek­ti­on allein und aus­schließ­lich durch eine bessere/andere Orga­ni­sa­ti­on der Hygie­ne­maß­nah­men hät­te ver­hin­dern kön­nen. Sind die Vor­aus­set­zun­gen der Rechts­fi­gur des voll­be­herrsch­ba­ren Risi­kos erfüllt, so trifft als­dann die Behand­lungs­sei­te die Beweis­last für eine feh­len­de Sorg­falts­pflicht­ver­let­zung und ein feh­len­des Ver­schul­den. Es tritt also eine Umkehr der Beweis­last ein.

In der Pra­xis bedeu­tet dies jedoch, dass die Grund­sät­ze des voll­be­herrsch­ba­ren Risi­kos sei­tens der Recht­spre­chung nur dann ange­wandt wer­den, wenn der Über­tra­gungs­weg der Keim­in­fek­ti­on ein­deu­tig bestimmt wer­den kann und wie­der­um ein­deu­tig der allei­ni­gen Risi­ko­sphä­re des Kran­ken­hau­ses zuge­rech­net wer­den kann. Die­ser Nach­weis kann nur in den wenigs­ten Fäl­len gelin­gen. So hat bei­spiels­wei­se das OLG Mün­chen mit Urteil vom 06.06.2013, Az. 1 U 319/13, den Vor­trag eines Pati­en­ten, es habe eine Keim­über­tra­gung von einem Mit­pa­ti­en­ten des Kran­ken­hau­ses gege­ben, als nicht aus­rei­chend ange­se­hen. Das OLG Mün­chen hat ent­schie­den, dass Mit­pa­ti­en­ten eines Kran­ken­hau­ses gera­de nicht dem voll­be­herrsch­ba­ren Risi­ko­kreis eines Kran­ken­hau­ses zuge­rech­net wer­den kön­nen. Das Kran­ken­haus­per­so­nal oder auch die ver­wen­de­ten Gerät­schaf­ten und Mate­ria­li­en sind Bestand­tei­le des Kli­nik­be­trie­bes und unter­ste­hen dadurch dem orga­ni­sa­to­ri­schen Ver­ant­wor­tungs­be­reich des Kran­ken­hau­ses. Dies sei jedoch bei Mit­pa­ti­en­ten gera­de nicht der Fall. Der blo­ße Hin­weis auf einen eben­falls infek­tiö­sen Mit­pa­ti­en­ten genügt nicht.

Hin­zu kommt, dass das Kran­ken­haus selbst bei Annah­me des voll­be­herrsch­ba­ren Risi­kos dann nicht haf­tet, wenn dem Kran­ken­haus wie­der­um der Gegen­be­weis gelingt, dass alle orga­ni­sa­to­ri­schen und tech­ni­schen Vor­keh­run­gen gegen Keim­über­tra­gun­gen getrof­fen wur­den.

 

3.

Gege­be­nen­falls las­sen sich Beweis­erleich­te­run­gen aus der Rechts­fi­gur des »gro­ben Behand­lungs­feh­lers« für den Pati­en­ten frucht­bar machen. Hier­für wäre aller­dings der Nach­weis erfor­der­lich, dass sei­tens des Kran­ken­hau­ses gegen Hygie­ne­vor­schrif­ten in einem sol­chen gra­vie­ren­den Maße ver­sto­ßen wur­de, dass dies aus objek­ti­ver ärzt­li­cher Sicht nicht mehr ver­ständ­lich wäre. Dies gilt bei­spiels­wei­se bei der Miss­ach­tung grund­le­gen­der Regeln zur Ver­mei­dung von Keim­über­tra­gun­gen.

 

4.

Es wird dis­ku­tiert, ob Kran­ken­häu­ser ver­pflich­tet sind, bei Auf­nah­me jedes Pati­en­ten bereits ein Scree­ning durch­zu­füh­ren, um das Ein­schlep­pen von Kei­men zu ver­hin­dern. Aktu­ell wird man dies jedoch noch ver­nei­nen müs­sen. Der­zeit besteht die Ver­pflich­tung zu einem Auf­nah­me­scree­ning ledig­lich bei Risi­ko­pa­ti­en­ten oder bei einem bekann­ten ver­mehr­ten Auf­tre­ten von Keim­in­fek­tio­nen in dem bewuss­ten Kran­ken­haus.

 

5.

Zusam­men­ge­fasst ist die Dar­le­gungs­last des Pati­en­ten, der gegen­über einem Kran­ken­haus den Vor­wurf der Ver­ant­wor­tung für eine Keim­in­fek­ti­on erhebt, ganz erheb­lich.

Letzt­lich wird ein Pro­zess nur dann zu gewin­nen sein, wenn schwer­wie­gen­de Ver­stö­ße gegen Hygie­ne­stan­dards bewie­sen wer­den kön­nen oder die Rechts­fi­gur des voll­be­herrsch­ba­ren Risi­kos greift und damit die oben genann­te Umkehr der Beweis­last ein­tritt. Die blo­ße Behaup­tung schwer­wie­gen­der Ver­stö­ße oder die blo­ße Behaup­tung einer Keim­in­fek­ti­on im Kran­ken­haus genügt dabei nicht.

Die schwe­ren Ver­stö­ße gegen Hygie­ne­stan­dards müs­sen sub­stan­ti­iert, also nach­voll­zieh­bar und detail­liert, vor­ge­tra­gen und bewie­sen wer­den.

Eine Keim­in­fek­ti­on im Kran­ken­haus muss gleich­falls sub­stan­ti­iert vor­ge­tra­gen wer­den. Dies beinhal­tet den Aus­schluss wei­ter­ge­hen­der Infek­ti­ons­mög­lich­kei­ten und Über­tra­gungs­we­ge. Dies wie­der­um kann letzt­lich nur gelin­gen, wenn bei Auf­nah­me des Pati­en­ten ein Scree­ning durch­ge­führt und die­ses ohne Keim­nach­weis abge­schlos­sen wur­de.

Sofern die­ser ohne­hin bereits schwe­re Vor­trag gelingt, so obliegt dem Kran­ken­haus die so genann­te sekun­dä­re Dar­le­gungs­last. Das Kran­ken­haus ist erst dann ver­pflich­tet, sich mit die­sen unsub­stan­ti­ier­ten Vor­wür­fen detail­liert aus­ein­an­der­set­zen. Erst jetzt wären also die Hygie­ne­plä­ne, etc., des Kran­ken­hau­ses über­haupt zu dis­ku­tie­ren. Ein Recht zur Ein­sicht­nah­me in die­se Hygie­ne­plä­ne und Hygie­ne­do­ku­men­ta­tio­nen besteht im Vor­feld eines Ver­fah­rens nicht. Die­se Hygie­ne­do­ku­men­ta­tio­nen gehö­ren nicht zur Behand­lungs­do­ku­men­ta­ti­on eines jeden Pati­en­ten, so dass sich auch das Ein­sicht­nah­me­recht in die Behand­lungs­do­ku­men­ta­ti­on nicht auf die­se Hygie­ne­do­ku­men­ta­ti­on erstreckt.

Somit kann auch nicht im Vor­feld abge­schätzt wer­den, wel­che Hygie­ne­stan­dards im Kran­ken­haus ange­wandt und in wel­chem Umfang die­se beach­tet wur­den.

 

Tho­mas Oede­ko­ven,
Rechts­an­walt
Fach­an­walt für Medi­zin­recht
Fach­an­walt für Sozi­al­recht
Wirt­schafts­me­dia­tor

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