Seit dem 01.05.2019 ist das neue belgische Gesellschaftsgesetzbuch (Code des sociétés et associations) in Kraft.

Es handelt sich bei diesem am 28.02.2019 verabschiedeten und am 23.03.2019 veröffentlichten Gesetz um eine tiefgreifende Strukturreform mit weitreichenden Auswirkungen. Es wäre nicht verfehlt, von einem Paradigmenwechsel zu sprechen.

1.

Die Unterscheidung zwischen zivilen und Handelstransaktionen wird aufgegeben. Auch der Begriff des Kaufmanns bzw. des kaufmännischen Geschäfts wird im Einklang mit dem 20. Buch des Wirtschaftsgesetzbuches (Code de droit économique) aufgegeben zu Gunsten des Begriffs der Unternehmerschaft (entreprise).

2.

(Handels-) Gesellschaften und Vereinigungen werden nicht mehr nach Maßgabe der ihnen erlaubten Geschäfte unterschieden, sondern nach dem Kriterium ihrer Finalität. Eine Gesellschaft definiert sich künftig dadurch, dass sie ihren Gewinn an die Gesellschafter ausschüttet, während eine solche Ausschüttung bei Vereinigungen, wie z.B. einem Verein, unzulässig ist.

Deshalb wurde auch das Unterscheidungskriterium der Gewinnerzielungsabsicht vs. gemeinwohlorientierten Unternehmen aufgegeben. Die Gesellschaft mit sozialer Finalität (la société à finalité sociale) wurde deshalb durch das neue Gesetz abgeschafft, wobei sich allerdings Genossenschaften (sociétés coopératives/SC) ohne Änderung ihrer Gesellschaftsform als Sozialunternehmen (entreprises sociales/ES) registrieren lassen können.

3.

Auch das Unterscheidungskriterium einer Gesellschaft, die öffentlich um Kapital wirbt (société faisant appel public à l´épargne) wird aufgegeben zu Gunsten der börsennotierten Gesellschaft (société côtée). Letztere wird nunmehr so definiert, dass sie auf einem geregelten Finanzmarkt registriert ist.

4.

Ein Teil der Gesellschaftsformen wird umbenannt, ein anderer Teil der Gesellschaften und Vereinigungen entfällt ersatzlos.

Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (société de droit commun) heißt nunmehr „einfache Gesellschaft“ (société simple). Die Innengesellschaft oder Stille Gesellschaft (société interne) entfällt. Die société simple kann temporären Charakter haben.

Die Landwirtschaftsgesellschaften (SCRI), wie auch die wirtschaftlichen Interessenvereinigungen (groupements d´intérêt économique/GIE) entfallen. Die bisherigen landwirtschaftlichen Gesellschaften können sich jedoch als solche unter dem Kürzel „entreprise agricole“ (EA) durch das Wirtschaftsministerium registrieren lassen.

Die europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (groupement européen d´intérêt économique) wird von der Reform jedoch nicht berührt, da es sich um eine gegenüber dem nationalen Recht vorrangige Rechtsform aufgrund europäischen Sekundärrechts handelt. Diese wird daher gemäß den Vorschriften des Buches XVIII des neuen Gesellschaftsgesetzbuches geregelt.

5.

Anders als im deutschen Recht werden GmbH nicht als Kapitalgesellschaften, sondern als Personengesellschaften qualifiziert, daher ihre bisherige Bezeichnung als PGmbH – Personengesellschaft mit beschränkter Haftung oder SPRL – société personnelle à responsabilité limitée. Die sogenannte SPRL unipersonnelle, also Einpersonengesellschaft, existiert nicht mehr, wie auch die SPRL Starter, die der deutschen UG entspricht. Dies hängt, wie unten auszuführen sein wird, damit zusammen, dass die GmbH künftig kein Mindestkapital mehr aufweisen muss, so dass die SPRL Starter und die SPRL unipersonnelle, bei der eine Durchgriffshaftung auf den einzigen Gesellschafter bestand, entfallen.

Auch die SCA, d.h. die Kommanditgesellschaft auf Aktien (société en commandit par action) wurde obsolet.

6.

Nach der Reform gibt es daher folgende Gesellschaftsformen:

  • die société simple, also die einfache bürgerliche Gesellschaft,
  • la société au nom collectif (SNC), die, mutatis mutandis, der OHG entspricht,
  • die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (société à responsabilité limitée), künftig SRL abgekürzt,
  • die Kooperative (société coopérative – SC),
  • die Aktiengesellschaft (la société anonyme – SA),
  • die Societas Europaea (SE),
  • die europäische Kooperative (SCE),
  • die europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung, groupement européen d´intérêt économique (GEIE),
  • die faktische Gesellschaft, l´association de fait,
  • den Verein und den internationalen Verein (association sans but lucratif et association internatiale sans but lucratif)
  • die Privatstiftung, fondation privée (FP)
  • die öffentliche Stiftung – fondation d´utilité public (FUP).

7.

Wesentliche Änderungen sind bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu verzeichnen, künftig SRL. Hier vor allem der völlige Entfall eines Mindestkapitals zu erwähnen, da der Gesetzgeber sich der Einsicht nicht verschließen konnte, dass auch das bisherige Mindestkapital von 18.750,00 Euro im Insolvenzfall kaum jemals effektiv den Gläubigern zur Verfügung stand.

Ungeachtet dessen kann die Gesellschaft ein frei gewähltes Kapital ausweisen.

Trotz des Entfalls des Mindestkapitals entfällt nicht die Unterscheidung zwischen einer Befreiung des gezeichneten Kapitals durch Stammeinlagen in Bar oder in natura mit der fortbestehenden Folge, dass bei Naturaleinlagen ein Wirtschaftsprüferattestat hinsichtlich dessen Wertes, nicht zuletzt zum Schutz der Mitgesellschafter bei Bemessung der jeweiligen Gesellschaftsanteile, fortbesteht.

Die Geschäftsanteile einer SRL können nunmehr ohne Zustimmungserfordernis abgetreten werden, wenn dies im Gesellschaftsvertrag so vorgesehen ist.

8.

Bei der Aktiengesellschaft entfällt das Mindestkapital hingegen nicht, da dies europarechtlich vorgegeben ist.

Der belgische Gesetzgeber erlaubt jedoch nunmehr die Wahl zwischen dem monistischen Modell, das bisher vorherrschte, d.h. eines Verwaltungsrats (conseil d´adminstration), der in aller Regel aus drei Personen bestand, die auch die Führung der Geschäfte übernahmen, jedoch die Möglichkeit hatten, sich einer Art Prokurist zu bedienen, der als délégué à la gestion journalière bezeichnet wurde; und zum anderen dem dualistischen Modell, das in Deutschland vorherrscht, d.h. ein Vorstand, der von einem Aufsichtsrat überwacht wird.

Anders als bisher kann auch die Aktiengesellschaft nunmehr einen einzelnen Verwaltungsrat haben und muss nicht mehr ein Kollegium aufweisen. Dies erleichtert auch die Möglichkeit einer Ein-Personen-Aktiengesellschaft.

Weitere Gestaltungsfreiheiten werden zugestanden im Hinblick auf die statuarische Verteilung der Stimmrechte.

9.

Geradezu revolutionär ist der Schwenk des belgischen Rechts von der Sitz- zur Gründungstheorie.

Zur Erinnerung: Die meisten europäischen Staaten vertreten die sogenannte Sitztheorie. Dies bedeutet, dass eine Gesellschaft ihren Sitz dort hat, wo die Entscheidungen der Gesellschaft getroffen werden, d.h. in aller Regel, wo die Geschäftsführung sitzt.

Dies kann an dem Beispiel der Entscheidung Überseering BV des EuGH (05.11.2002 – C-208/00) verdeutlicht werden: Die niederländische Gesellschaft Überseering BV führte am Überseering in Düsseldorf ein Bauvorhaben durch und klagte aufgrund des Bestehens von Mängeln gegen einen Bauunternehmer. Die Geschäftsführung der BV befand sich jedoch nicht mehr in den Niederlanden, sondern in Düsseldorf. Die Instanzgerichte gingen davon aus, dass dadurch der Sitz der Gesellschaft effektiv in Deutschland war. Da es in Deutschland jedoch keine BV gab und eine Gründung des Äquivalents wie der GmbH unterblieben war, hatte die Gesellschaft letztlich den Status einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Da diese nicht rechtsfähig war, wurde die Aktivlegitimation für den Prozess verneint. Auf Vorlage zum EuGH entschied dieser, wie auch in den Rechtssachen Daily Mail, Centros und Inspire Art, dass zumindest für die Länder, die die Gründungstheorie vertraten, der Sitz der Geschäftsführung unbeachtlich ist und der Aufnahmestaat, hier Deutschland, die Gründungstheorie, die in den Niederlanden vorherrscht, akzeptieren musste. Damit war die Überseering BV aktivlegitimiert. Neben den Niederlanden vertrat in Europa das Vereinigte Königreich die Gründungstheorie, was sich möglicherweise aber mit dem Brexit erledigen würde.

Belgien optiert nunmehr ausdrücklich für die Gründungs- oder hier genauer: „Satzungstheorie“ und gewährleistet daher die unbeschränkte Beweglichkeit belgischer Gesellschaften im Sinne der europäischen Niederlassungsfreiheit, unbeachtlich der Frage, wo die tatsächliche Geschäftsführung ausgeübt wird. Es kommt nur auf den Satzungssitz an.

Dies erlaubt sowohl eine Tätigkeit belgischer Gesellschaften im Ausland, wie auch im Ausland sitzende Geschäftsführer eine belgische SRL oder SA führen können. Maßgeblich ist nur noch der statuarische Sitz.

10.

Des Weiteren erlaubt das belgische Gesellschaftsrecht nunmehr eine Aufnahme einer ausländischen Gesellschaft durch einfache Umwandlungserklärung in eine belgische Gesellschaft, und zwar identitätswahrend. Das gleiche gilt umgekehrt für die Umwandlung einer belgischen Gesellschaft in eine ausländische Gesellschaft (soweit der Aufnahmestaat dies zulässt).

11.

Diese weitreichenden Änderungen, insbesondere auch die neue Nomenklatur der Bezeichnungen, machen Übergangsregeln notwendig.

Das Gesetz ist am 01.05.2019 in Kraft getreten. Seit diesem Zeitpunkt können keine Gesellschaften mehr in den Gesellschaftsformen errichtet werden, die entfallen sind.

Bereits existierende, jedoch „entfallene“ Gesellschaften können bis zum 01.01.2020 durch Änderung der Statuten eine „neue“ Gesellschaftsform annehmen, die ihrer ursprünglichen Gesellschaftsform entspricht bzw. am nächsten kommt.

Gesellschaften, die fortbestehen, wie z.B. die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, müssen bis spätestens zum 01.01.2020 ihre Statuten und ihre Bezeichnung ändern, soweit notwendig.

Ab dem 01.01.2020 gelten die zwingenden Bestimmungen des Gesellschaftsrechts, die im Widerspruch zu den bisherigen Statuten stehen. Die nicht zwingenden Bestimmungen, die jedoch in den Statuten der bestehenden Gesellschaft nicht geregelt sind, gelten dann kraft Gesetzes bei Altgesellschaften.

Die Übergangsperiode endet 2024. Dann müssen alle Gesellschaften konform zu den neuen Vorschriften sein.

Diese Übergangsregeln sollten ausdrücklich auch als Chance gesehen werden. Das neue belgische Gesellschaftsrecht zeichnet sich durch eine sehr weitgehende Liberalisierung aus. Gesellschaften tun gut daran, dies möglicherweise in ihren Statuten zu reflektieren.

Für eine weitere Beratung diesbezüglich stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Guido J. Imfeld

Rechtsanwalt (DE)
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Wirtschaftsmediator

Avocat (BE)
Avocat spécialisé en droit des affaires internationales
Avocat spécialisé en droit commercial et des sociétés
Avocat spécialisé en droit de propriété intellectuelle
Médiateur en droit des affaires

Über den Autor

  • Guido Imfeld

    Guido Imfeld ist zugelassener Anwalt seit 1996 und Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht, für Handels- und Gesellschaftsrecht. Seit dem Jahre 2000 ist er auch in Belgien als Anwalt zugelassen. Zum Anwaltsprofil