Anmerkung zur Entscheidung des EuGH vom 24. November 2022 – C-358/21

(Tilman SA ./. Unilever Supply Company AG)

Die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen im internationalen Rechtsverkehr ist ein prozessualer Dauerbrenner. In diesem Bereich wird, meistens aus Unkenntnis, viel falsch gemacht. Und solche Fehler können erhebliche finanzielle Auswirkungen haben, denn im internationalen Rechtsverkehr ist die Wahl des Gerichtsstandes von maßgeblicher prozessualer und wirtschaftlicher Bedeutung. Denn häufig ist leider nicht (nur) das anwendbare Recht streitentscheidend, sondern vor allem die Wahl des richtigen Gerichts.

Die gesetzlichen Regelungen
Im deutschen Recht regelt § 38 ZPO die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen. Diese sind zulässig, wenn es sich um ein Geschäft zwischen Kaufleuten handelt oder wenn der Vertragspartner keinen Sitz im Inland hat. Eine solche Gerichtsstandvereinbarung bedarf keiner Schriftform und ist sogar stillschweigend möglich. Insbesondere reicht bereits der Hinweis auf die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen aus, damit diese wirksam Vertragsbestandteil werden, wenn und soweit der Vertragspartner die Möglichkeit hat, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei dem Verwender derselben anzufordern oder, was heutzutage die Regel ist, die Möglichkeit hat, diese im Internet einzusehen.

Daraus den Schluss zu ziehen, ein bloßer Hinweis auf AGB reiche in jedem Fall für den wirksamen Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung aus, wäre jedoch rechtsfehlerhaft. Denn für den Fall, dass der Vertragspartner seinen Sitz im Ausland hat, bedarf eine Gerichtsstandvereinbarung, die in diesem Falle auch mit Unternehmern, die nicht zulässig ist, die nicht Vollkaufleute im Sinne von § 1 HGB sind, gemäß § 38 Abs. 2 ZPO der Schriftform. Allerdings ist der praktische Anwendungsbereich dieser Norm nicht sehr weit, da sie in den Fällen bei Auslandsbezug innerhalb des EWR von Art. 25 der Brüssel Ia-Verordnung bzw. Art. 23 des (revidierten) Lugano-Übereinkommens verdrängt wird. Um diese Vorschriften und eine hierzu ergangene Entscheidung des EuGH soll es in diesem Beitrag gehen.

Voraussetzung der Einbeziehung von AGB im internationalen Rechtsverkehr
Wenn sich der Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf eine dort enthaltene Gerichtsstandvereinbarung beruft, ist zunächst zu prüfen, ob die AGB überhaupt wirksam in den Vertrag einbezogen wurden. Bei internationalen Kaufverträgen hat diese Prüfung anhand des anwendbaren Rechts zu erfolgen. Auch die Frage des anwendbaren Rechts ist regelmäßig Gegenstand einer Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Daraus wiederum den Rückschluss zu ziehen, dass dann das dort vorgesehene materielle Recht maßgeblich für die Frage der Einbeziehung ist, wäre jedoch zu kurz gesprungen. Denn die Vereinbarung des anwendbaren Rechts setzt ja wiederum die wirksame Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen voraus.

Daher ist nach richtiger Ansicht die Frage der Wirksamkeit der Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen nach dem Recht zu prüfen, das ohne die Rechtswahl anwendbar wäre. Internationale Kaufverträge eines in Deutschland ansässigen Verkäufers unterliegen dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf vom 11. April 1980 (CISG, auch als UN-Kaufrecht bezeichnet), das als Spezialgesetz die im BGB und HGB enthaltenen gesetzlichen Regelungen mit Ausnahme der Aspekte der Aufrechnung, Stellvertretung, des Eigentumsübergangs, der inhaltlichen Wirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und der Höhe der Verzugszinsen verdrängt.

Soweit die Frage der Einbeziehung von AGB betroffen ist, weicht das UN-Kaufrecht in zwei maßgeblichen Punkten von den deutschen unvereinheitlichten Recht des BGB und HGB ab. Zunächst erschwert das UN-Kaufrecht die Einbeziehung, weil diese voraussetzt, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen dem Vertragspartner vor oder spätestens bei Abschluss des Vertrages zur Kenntnis gebracht werden. Grundsätzlich reicht der Hinweis auf die Abrufbarkeit von AGB im Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts nicht aus. Im Kontext dieser Frage ist auch zu berücksichtigen, dass Allgemeine Geschäftsbedingungen nur wirksam in den Vertrag einbezogen werden, wenn der Vertragspartner die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat, was bedingt, dass er deren Sprache versteht. Im Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts müssen die AGB entweder in der Landessprache des Vertragspartners, jedenfalls aber in der Sprache abgefasst werden, in der die Parteien die Verhandlungen geführt haben. Der häufig im Anwendungsbereich des BGB und HGB gehörte Satz, dass sich ein Vertragspartner, der mit einer deutschen Partei kontrahiert, über den Inhalt eventuell für ihn nicht verständlicher vertraglicher Regeln zu informieren, gilt im UN-Kaufrecht nicht. In der Praxis empfiehlt sich als rechtssicherere Variante die Verwendung der Verhandlungssprache, da im internationalen Handel nicht durchweg sichergestellt ist, dass der Verhandlungspartner auch die Sprache des Landes, in der das Unternehmen seinen Sitz hat, spricht. Ein amerikanischer Unternehmer mit Sitz in Hamburg muss nicht unbedingt Deutsch sprechen. Auch gibt es Länder wie die Schweiz, Belgien, Italien oder Luxemburg, die mehrere Amtssprachen haben.

Der zweite Aspekt, der zu berücksichtigen ist, ist, dass das UN-Kaufrecht die Last shot-rule anwendet, während im unvereinheitlichten deutschen Recht des BGB und HGB die Knockout-rule gilt. Die Knockout-rule bedeutet, dass bei zur Durchführung gelangten Verträgen, in denen die Parteien wechselseitig auf ihre jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bezug genommen haben, die sich inhaltlich widersprechenden Regelungen annulliert werden und statt ihrer das jeweils zur Anwendung berufene Gesetzesrecht gilt. Im UN-Kaufrecht setzten sich hingegen die AGB durch, die zuletzt widerspruchslos in die Korrespondenz eingeführt wurden.

Das Schriftformerfordernis für eine Gerichtsstandsvereinbarung im Einzelnen
Wenn nunmehr der in Deutschland ansässige Verkäufer diese Hürden genommen hat, war damit aber immer noch nicht sichergestellt, dass die in den AGB enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung ebenfalls wirksam ist. Denn bei grenzüberschreitenden Geschäften gilt nicht § 38 ZPO, sondern Art. 25 der Brüssel Ia-Verordnung bzw. Art. 23 des Lugano-Übereinkommens. Diese setzt die mindestens einseitige Schriftform für die Wirksamkeit einer Gerichtsstandvereinbarung voraus. Einseitige Schriftform bedeutet, dass nach ratio legis gewährleistet sein muss, dass zumindest die Partei, deren allgemeiner Gerichtsstand, d. h. der Gerichtsstand am Sitz des Vertragspartners, abbedungen wird, schriftlich dokumentiert, dass sie Kenntnis von der Gerichtsstandsvereinbarung hat und dass die Parteien tatsächlich eine dahingehende Einigung getroffen haben (EuGH Rs. 62-2013 – Refcomp und Rs. C 82-2016 – Profit Investment SIM). Zur Dokumentation dessen ist aber nicht unbedingt die Unterschrift beider Seiten in einer Urkunde notwendig.

Jedenfalls aber reichte bisher im internationalen Rechtsverkehr der bloße Hinweis auf AGB, die eine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten, nicht aus, auch wenn der Vertragspartner die Möglichkeit gehabt hätte, diese abzurufen.

In der handelsrechtlichen Praxis versucht man dieses Manko häufig unter Hinweis auf Handelsgebräuche im internationalen Handelsverkehr oder Gewohnheiten, die sich zwischen den Parteien entwickelt hätten, zu heilen. Dies gelingt allerdings nur selten bis gar nicht. Denn wenn der internationale Handelsverkehr bereits per se von der Schriftform absähe, bedürfte es der Vorschrift des Art. 25 Brüssel Ia-Verordnung nicht. Eine Gerichtsstandsvereinbarung mit Konsumenten ist, jedenfalls vor Entstehen einer Streitigkeit, unzulässig. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist nur bei internationalen Verträgen eröffnet. Infolgedessen bedürfte es der Vorschrift nicht, gäbe es einen internationalen Handelsbrauch per se. Handelsbräuche können nur sektorenspezifisch sein. Bislang hat die Rechtsprechung auch nur sehr wenige Handelsbräuche, wie im Holzhandel, anerkannt. Besteht eine dauerhafte Handelsbeziehung zwischen den Parteien, ist es nicht notwendig, bei jedem Rechtsgeschäft erneut eine Gerichtsstandsvereinbarung zu treffen. Hier wird in der Argumentation jedoch häufig zu kurz gesprungen. Denn nach richtiger Ansicht, insbesondere des OLG Köln, setzt die Wirksamkeit einer formlosen Absprache eines Gerichtsstandes jedenfalls voraus, dass in einer dauerhaften Geschäftsbeziehung zumindest einmal wirksam ein Gerichtsstand vereinbart wurde und anzunehmen ist, dass der Vertragspartner sich darüber bewusst war, dass dies auch für Folgegeschäfte gelten sollte. Die dauerhafte Geschäftsbeziehung ersetzt tatbestandlich das Schriftformerfordernis nicht.

Rechtsprechung des EuGH
Die Rechtsprechung des EuGH ließ jedoch gewisse Erleichterungen zu. So kann auf das Vorliegen einer Willenseinigung auch aufgrund einer sogenannten strukturierten Kommunikation geschlossen werden, wenn sich aus der Abfolge der Korrespondenz die Kenntnis der betroffenen Vertragspartei erschließt. Es sollte auch ausreichen, wenn in einem Vertrag ausdrücklich auf die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen hingewiesen wurde, die sich abgedruckt auf der Rückseite des Vertrages befanden und eine Gerichtsstandsvereinbarung enthielten; oder wenn die Parteien im Text ihres Vertrages auf ein Angebot Bezug genommen haben, das seinerseits ausdrücklich auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen hinweist, sofern diesem deutlichen Hinweis von einer Partei bei Anwendung der normalen Sorgfalt nachgegangen werden kann und feststeht, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der anderen Partei tatsächlich zugegangen sind (EuGH-Rs. 177-1976 – Estasis di Colzani).

Die Entscheidung des EuGH vom 24. November 2022
Mit der hier besprochenen Entscheidung vom 24. November 2022 (C-358/21- Tilman SA ./. Unilever Supply Chain Company AG) geht der EuGH jedoch weiter und liberalisiert die Anforderungen an die Schriftform im Lichte der Notwendigkeit des elektronischen Rechtsverkehrs.

In dem zu entscheidenden Fall schlossen die Parteien einen Vertrag, der einen Hyperlink auf die Website von Unilever enthielt. Auf dieser Website waren die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Unilever einsehbar und konnten heruntergeladen werden. In diesen Allgemeinen Geschäftsbedingungen war eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten von Unilever enthalten.

Der EuGH entschied, dass diese Gerichtsstandsvereinbarung wirksam vereinbart wurde, weil sie in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten war, auf die ein schriftlich abgeschlossener Vertrag durch Angabe eines Hyperlinks zu einer Webseite hinwies, über die es möglich war, diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Kenntnis zu nehmen, herunterzuladen und auszudrucken, auch wenn die Partei, der diese Klausel entgegengehalten wird, nicht aufgefordert wurde, diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch Anklicken eines Feldes auf der verlinkten Webseite zu akzeptieren.

Der EuGH begründet seine Entscheidung mit den Anforderungen des modernen Geschäftsverkehrs, den Abschluss von Verträgen auf elektronischem Wege zu erleichtern.

Nach Maßgabe dieser Entscheidung ist zwar immer noch die Schriftform, zumindest für den Hauptvertrag erforderlich. Auch ist nach wie vor zu fordern, dass ein ausdrücklicher Hinweis auf die Einbeziehung von AGB erfolgt. Ansonsten aber bedeutet diese Entscheidung eine weitgehende Liberalisierung des Schriftformerfordernisses des Art. 25 Brüssel Ia-Verordnung (die Entscheidung bezieht sich in der Sache auf das Lugano-Abkommen, ist aber ohne weiteres aufgrund des identischen Wortlautes auch für die aktuelle Fassung der Brüssel Ia-Verordnung maßgeblich).

Bewertung der Entscheidung und Empfehlung

Erstaunlich ist die Entscheidung insoweit, als der EuGH lediglich fordert, dass der Hyperlink auf die Website des Verwenders der AGB hinweist, auf der der Vertragspartner dann die AGB abrufen kann. Im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des EuGH hätte es nahe gelegen, wenn der EuGH zumindest fordert, dass der Hyperlink unmittelbar auf die AGB verweist und/oder durch Notwendigkeit des Anklicken eines Buttons das Einverständnis mit den AGB dokumentiert wird. Beides forderte der EuGH ausdrücklich nicht, was eigentlich der ursprünglichen Intention des europäischen Gesetzgebers, nämlich zu verhindern, dass durch unreflektiertes Anklicken ungeprüft AGB und Gerichtsstandvereinbarungen Gegenstand einer Vereinbarung werden, widerspricht.

Jedenfalls aber ist die Entscheidung im Ergebnis zu begrüßen, weil sie es erlaubt, AGB nunmehr einschließlich eine Gerichtsstandvereinbarung zu vereinbaren und nicht mehr gesondert eine schriftliche Bestätigung der Gerichtsstandsvereinbarung erfordert. Dies erscheint praxisgerecht.

Vorsorglich empfehlen wir jedoch, die Verweisung mittels Hyperlink so auszugestalten, dass der Hyperlink selbst auf die AGB verweist. Denn nach wie vor muss der Verwender der AGB deren Einbeziehung beweisen. Dies erfordert den Nachweis, dass die AGB, zumal in der verwendeten Fassung, tatsächlich auf der Website abrufbar waren. Auch ein Bestätigungsbutton ist letztlich ratsam, weil dieser die Dokumentation der Einbeziehung und Kenntnisnahme sicherstellt, insbesondere sicherstellt, dass gewiss ist, auf welche der im Laufe der Zeit sukzessiv abrufbaren Versionen der AGB sich das Einverständnis bezieht.

Die Entscheidung des EuGH verhält sich nur über die Frage des Formerfordernisses des Art. 25 Brüssel Ia-Verordnung bzw. der entsprechenden Regelung des Lugano II-Abkommens, das im Verhältnis zu den Mitgliedsstaaten des EWR Anwendung findet. Der EuGH ist nicht zuständig für die Auslegung des UN-Kaufrechts. Wenn eine Partei daher behauptet, ihre AGB seien formwirksam vor dem Hintergrund Art. 25 Brüssel Ia-Verordnung in den Vertrag einbezogen worden, muss sie immer noch darlegen und beweisen, dass die Einbeziehung auch wirksam nach Maßgabe des anwendbaren Rechts erfolgt ist. Das Spannungsverhältnis zwischen der Formvorschrift des Art. 25 Brüssel Ia-Verordnung und dem UN-Kaufrecht hinsichtlich der Notwendigkeit der Übermittlung von AGB und deren Abrufbarkeit sowie der Möglichkeit der Kenntnisnahme im Hinblick auf die verwendete Sprache bleibt daher offen.

Exkurs: Anerkenntnis einer Gerichtsstandsklausel durch widerspruchslos Akzeptanz einer Rechnung im belgischen Recht

Unter Rz. 42 der Entscheidung nimmt der EuGH dankenswerterweise erneut und ausdrücklich Bezug auf seine Entscheidung in der Rechtssache C-173/2018 – Saey Home & Garden, wonach es jedenfalls nicht ausreicht, wenn der Vertrag mündlich oder ohne spätere schriftliche Bestätigung geschlossen wurde und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit der Gerichtsstandsklausel nur in den von einer der Parteien ausgestellten Rechnungen erwähnt wurden.

Dies ist nämlich Stand der Rechtsprechung vieler belgischer Gerichte, die von dem Grundsatz geleitet ist, dass die widerspruchslose Hinnahme einer Rechnung deren Anerkenntnis bedeutet, einschließlich der mit dieser Rechnung überreichten AGB. Die Rechtsprechung der belgischen Cour de Cassation und der Instanzgerichte erlaubt dem Richter, aus der widerspruchslosen Hinnahme der Rechnung eine gesetzliche Vermutung der Akzeptanz auch der Allgemeinen Geschäftsbedingungen abzuleiten (vgl. hierzu Cass. 1er décembre 1967, Pas., 1968, I, p. 440; Cass. 29 janvier 1996 , Pas., 1996, I, p. 59; Cass. 27 janvier 2000, Pas., 2000, I, p. 72; I. Moreau-Margrève, La force probante des conditions générales en vente et d‘achat, p. 11;  D. Philippe et M. Chamass, L‘opposabilité des conditions générales, p. 270 – 272; G. L. Ballon et E. Dirix, La facture et autre documents équivalents, 2ème édition, Waterloo, Kluwer, 2016, p. 164, n° 269; Bruxelles, 2 février 1977, J.T., 1977, p. 472; Bruxelles, 24 décembre 1980, J.T., 1980, p. 245; A. Cataldo et F. George, Droit des obligations – Le nouveau livre cinq du Code civil, Anthémis, 2022, p. 47, n° 46). diese Rechtsprechung ist bereits denklogisch eine Zumutung, da sie doch dazu führt, dass vertragliche Regelungen nachträglich und einseitig in ein bereits abgeschlossenes Rechtsgeschäft eingeführt werden. Wenn es sich um eine Proformarechnung handelt oder die Rechnung im Einzelfall die Funktion einer Auftragsbestätigung hat, mag die Vermutung noch angehen. Belgische Gerichte wenden diese Vermutung jedoch auch bei schriftlich abgeschlossenen Verträgen an, bei denen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nachweislich erst durch die unwidersprochen gebliebene Rechnung in das Rechtsgeschäft eingeführt werden. Nach diesseitiger Auffassung wird die seit 2021 anwendbare Beweisregel des Art. 8.11 § 4 des neuen Code Civil, wonach im unternehmerischen Geschäftsverkehr eine nicht bestrittene Rechnung die Vermutung des Anerkenntnisses derselben einschließlich dort enthaltener Regelungen trägt, diese Rechtsprechung noch verschärfen. Leider sind viele belgische Gerichte mit dem europäischen Sekundärrecht und dem Vorrang des völkerrechtlich verbindlichen UN-Kaufrechts nicht vertraut und wenden daher materiellrechtliche Vorschriften des (unvereinheitlichten) belgischen Rechts trotz Vorrangs des europäischen Sekundärrecht und des UN-Kaufrechts an. Der Rekurs auf Art. 10 der Rom I-Verordnung, wonach eine rechtliche Regelung, die der ausländische Vertragspartner nach seinem Recht nicht kennen muss, außer Betracht bleibt, wird von belgischen Gerichten in aller Regel auch nicht zur Kenntnis genommen. Man ist daher gut beraten, die laufende Korrespondenz mit belgischen Vertragspartnern inhaltlich zu überprüfen und in jedem Fall vorsorglich zu widersprechen, und zwar, auch wenn dies heutzutage archaisch erscheint, per Einschreiben.

[1] Kaufleute im Sinne von § 1 HGB, d.h. unternehmerische oder gewerbliche Tätigkeit als solche reicht nicht.

Über den Autor

  • Guido Imfeld

    Guido Imfeld ist zugelassener Anwalt seit 1996 und Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht, für Handels- und Gesellschaftsrecht. Seit dem Jahre 2000 ist er auch in Belgien als Anwalt zugelassen. Zum Anwaltsprofil