In Insol­venz­ver­fah­ren über das Ver­mö­gen von wirt­schaft­lich selb­stän­di­gen Per­so­nen kann der Insol­venz­ver­wal­ter den Geschäfts­be­trieb frei­ge­ben.

Die ent­spre­chen­de Rege­lung fin­det sich in § 35 Abs. 2 InsO. Es wird das Ver­mö­gen, das zur selb­stän­di­gen Tätig­keit not­wen­dig ist, ein­schließ­lich der dazu­ge­hö­ren­den Ver­trags­ver­hält­nis­se aus der Insol­venz­mas­se frei­ge­ge­ben. Der Insol­venz­ver­wal­ter macht von die­ser Frei­ga­be u.a. dann Gebrauch, wenn der Gewinn nach Steu­ern und Sozi­al­ver­si­che­run­gen die Höhe des pfän­dungs­frei­en Ein­kom­mens des selb­stän­dig täti­gen Insol­venz­schuld­ners nicht erreicht. In die­sen Fäl­len führt die­se unter­neh­me­ri­sche Tätig­keit nicht zu einer Erhö­hung der Insol­venz­mas­se. Der jewei­li­ge Insol­venz­schuld­ner möch­te bzw. muss die­se selb­stän­di­ge Tätig­keit in den meis­ten Fäl­len fort­set­zen, um das zu erwirt­schaf­ten, was er zum Leben braucht. Die selb­stän­di­ge Tätig­keit ist letzt­end­lich sei­ne wirt­schaft­li­che Lebens­grund­la­ge und die für sei­ne Fami­lie.

Für den Insol­venz­schuld­ner von Bedeu­tung ist die Ant­wort auf die Fra­ge: Was ist von die­ser Frei­ga­be erfasst und über was kann er damit frei außer­halb des Insol­venz­ver­fah­rens ver­fü­gen? Dies sind auf der Ver­mö­gen­sei­te zum einen die Gegen­stän­de, die er zur Aus­übung des Geschäfts­be­trie­bes benö­tigt und damit letzt­end­lich das, was aus die­sem Grun­de bereits als unpfänd­bar ange­se­hen wird. Auf der Sei­te der Ver­pflich­tun­gen ste­hen die gewerb­lich ver­an­lass­ten Ver­trä­ge und damit bei­spiels­wei­se Miet­ver­trä­ge für Büro­räu­me, Lager­flä­chen, Ver­trä­ge mit Lie­fe­ran­ten und Arbeits­ver­trä­ge.

Damit stellt sich die wei­te­re Fra­ge: Wovon kön­nen vom Insol­venz­schuld­ner ab dem Zeit­punkt der Wirk­sam­keit der Frei­ga­be, die­se, nun­mehr von ihm außer­halb der Insol­venz zu beglei­chen­den, Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen bezahlt wer­den? Wirk­sam wird die Frei­ga­be mit dem Zugang des ent­spre­chen­den Schrei­bens des Insol­venz­ver­wal­ters an den Insol­venz­schuld­ner. Ab die­sem Zeit­punkt möch­ten die Ver­trags­part­ner, wie bei­spiels­wei­se der Ver­mie­ter, ihr Geld vom Insol­venz­schuld­ner. Aus wel­cher Liqui­di­tät kann die­se Zah­lungs­pflicht erfüllt wer­den?

Und damit sind wir bei der Achil­les­fer­se der Frei­ga­be des Geschäfts­be­trie­bes in einem Insol­venz­ver­fah­ren: der Anfangs­li­qui­di­tät.

Die Frei­ga­be des Geschäfts­be­trie­bes ist, unter Liqui­di­täts­ge­sichts­punk­ten betrach­tet, nichts ande­res als eine Neu­grün­dung. Jeder Insol­venz­schuld­ner, dem gegen­über der Geschäfts­be­trieb frei­ge­ge­ben wird, braucht eine Start­li­qui­di­tät und die­se wird sich auf die Kos­ten eines grob geschätz­ten Zeit­rau­mes von einem Monat belau­fen, bzw. letzt­end­lich der Kos­ten für den Zeit­raum, in dem er arbei­tet und damit Kos­ten ver­ur­sacht, aber noch kei­ne Zah­lungs­ein­gän­ge zu ver­zeich­nen hat.

Dies ist von jedem Insol­venz­schuld­ner im Hin­blick auf sei­ne wirt­schaft­li­che Tätig­keit zu berück­sich­ti­gen. Denn ande­ren­falls führt die Frei­ga­be der selb­stän­di­gen Tätig­keit in einem Insol­venz­ver­fah­ren zu einer erneu­ten Zah­lungs­un­fä­hig­keit. Und das soll­te drin­gend ver­mie­den wer­den.

Deut­lich wird die­se Situa­ti­on in der recht­li­chen Bewer­tung eines Urteils des Bun­des­ge­richts­ho­fes vom 21.02.2019 (ZIP 2019, 477 ff.). Dar­in führt der Bun­des­ge­richts­hof aus, dass die Frei­ga­be des Geschäfts­be­trie­bes nicht das Ver­mö­gen aus der selb­stän­di­gen Tätig­keit des Schuld­ners erfas­se, das dem Schuld­ner bei Wirk­sam­wer­den der Frei­ga­be­er­klä­rung bereits gehör­te. Damit sind von der Frei­ga­be nicht die For­de­run­gen erfasst, die aus der selb­stän­di­gen Tätig­keit des Insol­venz­schuld­ners bereits vor Wirk­sam­wer­den der Frei­ga­be­er­klä­rung ent­stan­den sind. Eine For­de­rung ist ent­stan­den, wenn der Schuld­ner sei­ne ver­gü­tungs­fä­hi­ge Leis­tung erbracht hat. Auf die Fäl­lig­keit kommt es dabei nicht an. Die Ver­gü­tung für die Arbeit des selb­stän­dig täti­gen Insol­venz­schuld­ners, die er vor dem Zeit­punkt der Frei­ga­be erbracht hat, steht daher der Insol­venz­mas­se und damit dem Insol­venz­ver­wal­ter zu.

Infol­ge­des­sen fehlt die Anfangs­li­qui­di­tät nach einer Frei­ga­be des Geschäfts­be­trie­bes. In dem erwähn­ten Urteil han­delt es sich um die Frei­ga­be einer Zahn­arzt­pra­xis. Soweit es die Hono­rar­for­de­run­gen gegen Pri­vat­pa­ti­en­ten betrifft, ent­ste­hen die­se dem Grun­de nach, sobald der Zahn­arzt eine ver­gü­tungs­fä­hi­ge Leis­tung erbracht hat. Eine Beson­der­heit besteht im Hin­blick auf die Ver­gü­tungs­for­de­run­gen gegen­über der kas­sen­zahn­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung. Hier­zu führt der Bun­des­ge­richts­hof in sei­nem vor­er­wähn­ten Urteil aus, dass die­se Hono­rar­for­de­run­gen erst mit Abschluss des Quar­tals ent­ste­hen und grund­sätz­lich hin­zu­kom­men muss, dass der Ver­trags­arzt eine ent­spre­chen­de Abrech­nung vor­legt. Anders ist es dann wie­der­um im Hin­blick auf die Zuord­nung von Abschlags­zah­lun­gen der kas­sen­zahn­ärzt­li­chen Ver­ei­ni­gung. Hier kommt es auf den Zeit­punkt der Zah­lung an. Dies bedeu­tet für den (Zahn-)Arzt: Abschlags­zah­lun­gen, die nach einer Frei­ga­be des Geschäfts­be­trie­bes erfol­gen, sind dem frei­ge­ge­be­nen Pra­xis­be­trieb zuzu­ord­nen und ste­hen daher der Liqui­di­tät nach Frei­ga­be zur Ver­fü­gung.

Soll­ten Sie zu die­ser The­ma­tik wei­te­re Fra­gen haben, mel­den Sie sich ger­ne bei mir unter mei­ner E‑Mail-Adres­se lange@daniel-hagelskamp.de, oder über mei­ne Mit­ar­bei­te­rin, Frau Kalem, unter der Tele­fon-Nr. 0241 94621 138.

Cars­ten Lan­ge
Fach­an­walt für Insol­venz­recht
Mediator/Wirtschaftsmediator (DAA)
Coach

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Über den Autor

  • Carsten Lange

    Cars­ten Lan­ge ist zuge­las­se­ner Rechts­an­walt seit 1996 und Fach­an­walt für Insol­venz­recht und für Steu­er­recht, zudem ist er aus­ge­bil­de­ter Wirt­schafts­me­dia­tor und Coach. Zum Anwalts­pro­fil