Die Fir­ma ist zah­lungs­un­fä­hig und/oder über­schul­det. Damit müss­te der Geschäfts­füh­rer zum jet­zi­gen Zeit­punkt einen Insol­venz­an­trag stel­len. Trotz die­ser wirt­schaft­lich nega­ti­ven Situa­ti­on gibt es einen Nach­fol­ger für die Geschäfts­füh­rung. Und da liegt dann die Über­le­gung nahe: Anstel­le des Insol­venz­an­tra­ges könn­te man als bis­he­ri­ger Geschäfts­füh­rer auch aus­schei­den und alles Wei­te­re dann dem Nach­fol­ger über­las­sen – und damit selbst den not­wen­di­gen Insol­venz­an­trag nicht stel­len.

Die­ses o. ä. muss sich der Geschäfts­füh­rer von meh­re­ren Ver­triebs­ge­sell­schaf­ten gedacht haben, die der BGH in sei­nem Urteil als „P Grup­pe“ benannt hat. Die­se Fir­men­grup­pe warb unter Anle­gern um Inves­ti­tio­nen für Con­tai­ner, die an Lea­sing­ge­sell­schaf­ten und Ree­de­rei­en ver­mie­tet wur­den. Die­ses Unter­neh­mens­kon­strukt ende­te wirt­schaft­lich im Schnee­ball­sys­tem und im Zuge des­sen in der Insol­venz.

Ein Anle­ger nahm den Geschäfts­füh­rer auf Scha­dens­er­satz wegen Insol­venz­ver­schlep­pung gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO in Anspruch. Dabei gab es eine Beson­der­heit: Die­ser Anle­ger hat­te einen sei­ner Anla­ge­ver­trä­ge erst nach der Abbe­ru­fung des Beklag­ten zum Geschäfts­füh­rer abge­schlos­sen.

Haf­tet ein frü­he­rer Geschäfts­füh­rer aus Insol­venz­ver­schlep­pung auch für Schä­den von soge­nann­ten Neu­gläu­bi­gern, die erst nach sei­nem Aus­schei­den mit der GmbH einen Ver­trag abge­schlos­sen haben?

Dies hat der Bun­des­ge­richts­hof in einem Urteil vom 23. Juli 2024 (Az. II ZR 206/22) grund­sätz­lich bejaht. Der aus sei­nem Amt aus­ge­schie­de­ne Geschäfts­füh­rer haf­te auch für Schä­den von die­sen Neu­gläu­bi­gern, wenn „die durch sei­ne Antrags­pflicht­ver­let­zung geschaf­fe­ne ver­schlep­pungs­be­ding­te Gefah­ren­la­ge im Zeit­punkt der Scha­dens­ent­ste­hung noch fort­be­steht“ (Rz. 79).

Die­se Haf­tungs­vor­aus­set­zung klingt sper­rig, ist aber ein­fach erfüllt. Denn hier­zu führt der BGH in sei­nem Urteil aus: Es müs­se eine wer­ten­de Betrach­tung erfol­gen, ob das vom aus­ge­schie­de­nen Geschäfts­füh­rer geschaf­fe­ne Risi­ko schon gänz­lich abge­klun­gen sei. Das sei wie­der­um der Fall, wenn die Gesell­schaft sich nach der Antrags­pflicht­ver­let­zung des aus­ge­schie­de­nen Geschäfts­füh­rers zunächst wie­der nach­hal­tig erholt und dann spä­ter wie­der insol­venz­reif wer­de.

Anders­her­um for­mu­liert ist die­ses geschaf­fe­ne Risi­ko nicht abge­klun­gen, wenn die Insol­venz­rei­fe der Gesell­schaft wei­ter­be­stan­den hat.

In der Situa­ti­on der Insol­venz­rei­fe der GmbH kei­nen Insol­venz­an­trag zu stel­len und anstel­le des­sen aus der Geschäfts­füh­rung aus­zu­schei­den, eröff­net damit einen nicht mehr zu beein­flus­sen­de Haf­tungs­ge­fahr. Neu­gläu­bi­ger, die bei Fort­be­stehen der Insol­venz nach dem Aus­schei­den des Geschäfts­füh­rers mit der wei­ter­hin geschäft­lich akti­ven Gesell­schaft Ver­trä­ge abschlie­ßen, kön­nen den ihnen dadurch ent­stan­de­nen Scha­den von dem bereits aus­ge­schie­de­nen Geschäfts­füh­rer ersetzt ver­lan­gen.

Dabei ist dem frü­he­ren Geschäfts­füh­rer die Ent­las­tung, ein ande­rer (Anm. der zeit­lich nach­fol­gen­de Geschäfts­füh­rer) habe die Gefah­ren­la­ge pflicht­wid­rig nicht besei­tigt, nicht mög­lich.

Hin­zu kommt: durch eine Been­di­gung der Geschäfts­füh­rer­funk­ti­on bei bestehen­der Insol­venz­rei­fe der GmbH wer­den die bereits in der Ver­gan­gen­heit began­ge­nen Antrags­pflicht­ver­let­zun­gen nicht rück­wir­kend besei­tigt. Die Ver­ant­wor­tung des Geschäfts­füh­rers für dar­aus resul­tie­ren­de Ver­schlep­pungs­schä­den bleibt bestehen.

Bei Insol­venz­rei­fe der GmbH als Geschäfts­füh­rer aus­zu­schei­den, ohne zuvor einen Insol­venz­an­trag gestellt zu haben, hilft damit weder für die Ver­gan­gen­heit noch für die Zukunft, um die Haf­tung zu redu­zie­ren.

Es ver­bleibt die Emp­feh­lung, die in der Pra­xis sicher­lich nicht immer ein­fach zu erfül­len ist: einen Insol­venz­an­trag recht­zei­tig zu stel­len, um sich einer der­ar­ti­gen Haf­tung gegen­über Neu­gläu­bi­gern, aber auch der Gesell­schaft selbst und damit dem Insol­venz­ver­wal­ter nicht aus­zu­set­zen.

Für wen die Insol­venz­an­trags­pflicht gilt beleuch­tet Rechts­an­walt Cars­ten Lan­ge zudem in sei­ner Pod­cast-Fol­ge Die Insol­venz­an­trags­pflicht: Wen trifft sie und wann?.

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Über den Autor

  • Carsten Lange

    Cars­ten Lan­ge ist zuge­las­se­ner Rechts­an­walt seit 1996 und Fach­an­walt für Insol­venz­recht und für Steu­er­recht, zudem ist er aus­ge­bil­de­ter Wirt­schafts­me­dia­tor und Coach. Zum Anwalts­pro­fil