Öster­reich und Deutsch­land sind Nach­barn und kul­tu­rell eng ver­wandt. Manch­mal erstaunt es jedoch, wie trotz die­ser Nähe bestimm­te recht­li­che Sach­ver­hal­te völ­lig anders als im deut­schen Recht gere­gelt wer­den.

So ver­hält es sich z.B. bei der Ver­jäh­rung im Öster­rei­chi­schen Recht.

Grund­sätz­lich ver­jäh­ren Gewähr­leis­tungs­an­sprü­che bei Kauf- und Werk­ver­trä­gen im Öster­rei­chi­schen Recht in zwei Jah­ren ab Lie­fe­rung. Dies ent­spricht der deut­schen Rege­lung des § 438 BGB. Wäh­rend im deut­schen Recht jedoch sämt­li­che Ansprü­che aus und auf Gewähr­leis­tung ein­heit­lich ver­jäh­ren, sind im Öster­rei­chi­schen Recht Ansprü­che auf Gewähr­leis­tung auf die soge­nann­te Nach­er­fül­lung in Form einer Neu­lie­fe­rung oder Besei­ti­gung des Man­gels beschränkt. Sämt­li­che Ansprü­che, die dadurch ent­ste­hen, dass ein Man­gel einen Scha­den an einer Sache oder wei­ter­ge­hen­de Fol­ge­schä­den ver­ur­sacht, wer­den als Scha­dens­er­satz qua­li­fi­ziert. In die­sem Fall ist § 1489 ABGB ein­schlä­gig. Scha­dens­er­satz­an­sprü­che ver­jäh­ren dabei in drei Jah­ren ab Kennt­nis von Scha­den und Schä­di­ger.

Bei der Ver­jäh­rung ist die span­nen­de Fra­ge jedoch immer der Beginn der Ver­jäh­rung. Ab wann ken­ne ich Scha­den und Schä­di­ger? Die Ant­wort ist im Grun­de genom­men ein­fach: Es ist der Zeit­punkt, wenn es mög­lich ist, zumin­dest eine Fest­stel­lungs­kla­ge zu erhe­ben. Das bedeu­tet, dass ich den Schä­di­ger ken­nen muss und Kennt­nis davon haben muss, dass ein Scha­den ent­stan­den ist. Die Höhe des Scha­dens muss noch nicht end­gül­tig bestimm­bar sein.

Ist aber über­haupt strei­tig, ob ein Scha­den ent­stan­den ist, beginnt der Zeit­punkt erst dann, wenn dies fest­steht. Steht fest, dass jeden­falls ein Scha­den ent­stan­den ist, darf der Geschä­dig­te solan­ge zuwar­ten, bis er eine aus­rei­chen­de Gewiss­heit über den Scha­den hat. Bei der Erstel­lung von Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten zur Fest­stel­lung der Scha­dens­ur­sa­che z.B., wenn das end­gü­ti­ge Gut­ach­ten vor­liegt.

Es gibt aller­dings auch Recht­spre­chung des OGH, die aus­sagt, dass man nicht solan­ge zuwar­ten darf, bis man Gewiss­heit über den posi­ti­ven Aus­gang eines Pro­zes­ses hat. Als Anwäl­te müs­sen wir vor­sorg­lich immer den sichers­ten Weg gehen, so dass die Ten­denz besteht, den Ver­jäh­rungs­be­ginn groß­zü­gig aus­zu­le­gen. Ich per­sön­lich wür­de den Ver­jäh­rungs­be­ginn taxie­ren auf den Zeit­punkt, in dem sich die Fest­stel­lun­gen des Sach­ver­stän­di­gen z.B. in einem Beweis­si­che­rungs­ver­fah­ren so ver­dich­tet haben, dass sinn­vol­ler­wei­se nicht mit einem ande­ren Aus­gang gerech­net wer­den kann. Im bel­gi­schen Recht z.B. wer­den im Lau­fe eines Beweis­si­che­rungs­ver­fah­rens ver­schie­de­ne Berichts­ar­ten vor­ge­legt, vor­läu­fi­ge Stel­lung­nah­men, vor­läu­fi­ge Gut­ach­ten und dann das End­gut­ach­ten. In die­sem Fal­le wäre es gefähr­lich, die Öster­rei­chi­sche Recht­spre­chung so zu ver­ste­hen, dass man bis auf die Erstel­lung des End­gut­ach­tens war­ten darf. Denn z.B. im deut­schen und Öster­rei­chi­schen Recht wer­den im Beweis­si­che­rungs­ver­fah­ren häu­fig nur die Gut­ach­ten erstellt. Dies ist im fran­zö­si­schen und bel­gi­schen Recht jedoch anders, wes­we­gen auch eine ande­re Inter­pre­ta­ti­on der Öster­rei­chi­schen Juris­pru­denz gefor­dert sein kann.

Infol­ge des­sen könn­te man sagen, dass dann eine Fest­stel­lungs­kla­ge mög­lich ist und Ver­jäh­rung beginnt, wenn gesi­cher­te Kennt­nis über das Bestehen eines Scha­dens, die Per­son des Schä­di­gers und des­sen Ver­ur­sa­chungs­bei­trag besteht. End­gül­ti­ge Gewiss­heit ist inso­weit nicht not­wen­dig.

Bei Regress­si­tua­tio­nen sieht dies etwas anders aus: Hier sagt die Recht­spre­chung, dass grund­sätz­lich der Scha­den erst dann ent­steht, wenn der in der Per­son des gegen­über dem Auf­trag­ge­ber regress­pflich­ti­gen Gene­ral­un­ter­neh­mers der Scha­den rea­li­siert hat, z.B. durch Ver­ur­tei­lung, durch Ver­gleich oder Erbrin­gung der Zah­lung. Erst dann beginnt die drei­jäh­ri­ge Ver­jäh­rung zu lau­fen, wobei aller­dings die Höchst­frist von zehn Jah­ren nach Ein­tritt des Scha­dens immer zu beach­ten ist. Aber auch hier gilt es, Vor­sicht und Umsicht wal­ten zu las­sen und sich abzu­si­chern, indem ver­jäh­rungs­hem­men­de oder ‑unter­bre­chen­de Maß­nah­men ver­an­lasst wer­den.

Dabei ist auch hier erstaun­lich, wie unter­schied­lich die Rechts­sys­te­me aus­ge­stal­tet sind. Ein Beweis­si­che­rungs­ver­fah­ren, ein Antrag auf Erlass einer einst­wei­li­gen Ver­fü­gung oder eine Streit­ver­kün­dung hem­men z.B. im deut­schen Recht nach § 204 BGB die Ver­jäh­rung. Dies ist im bel­gi­schen und Öster­rei­chi­schen Recht nicht der Fall. Dort gibt es Unter­bre­chungs­tat­be­stän­de, die die Erhe­bung einer Kla­ge mit dem Ziel der Ver­ur­tei­lung zum Scha­dens­er­satz vor­aus­set­zen. Inzi­dent kann dabei ein Beweis­si­che­rungs­ver­fah­ren geführt wer­den, doch muss zumin­dest der Scha­dens­er­satz­an­spruch als sol­cher Gegen­stand des Ver­fah­rens sein. Im deut­schen Recht kann die Ver­jäh­rung durch Ver­hand­lun­gen gehemmt wer­den. Dies ist im bel­gi­schen Recht nicht mög­lich.

Gemäß § 1501 ABGB ist ein Ver­zicht auf die Ein­re­de der Ver­jäh­rung nach der herr­schen­den Mei­nung in der Recht­spre­chung des OGH in Öster­reich erst dann mög­lich, wenn die Ver­jäh­rung bereits ein­ge­tre­ten ist. Man mag sich mit Fug und Recht fra­gen, wel­chen Sinn dies hat. Jeden­falls aber soll­te man sich nicht dar­auf ver­las­sen, dass die im deut­schen Recht prak­ti­zier­te Übung, zur Ver­mei­dung mög­li­cher­wie­se über­flüs­si­ger Ver­fah­ren den Ver­zicht auf die Ein­re­de der Ver­jäh­rung zu ver­ein­ba­ren, auch im Öster­rei­chi­schen Recht prak­ti­ka­bel ist. Im fran­zö­si­schen und bel­gi­schen Recht kann eben­falls nicht auf die Ein­re­de der Ver­jäh­rung ver­zich­tet wer­den, weil dort die Ver­jäh­rung von Amts wegen zu beach­ten ist und zum Erlö­schen der For­de­rung führt.

Gera­de in kom­ple­xe­ren Fäl­len mit Gene­ral- und Sub­un­ter­neh­mern, an denen vie­le Par­tei­en betei­ligt sind und in denen, was sehr häu­fig vor­kommt, der Gene­ral­un­ter­neh­mer ver­säumt hat, das in dem Ver­trag zu dem Auf­trag­ge­ber bestimm­te Recht sowie Gerichts­stän­de oder Schieds­ab­re­den auch auf die ande­ren Rechts­ver­hält­nis­se zu über­tra­gen, kann es schnell zu unlieb­sa­men Über­ra­schun­gen kom­men, wenn es spä­ter um die Gel­tend­ma­chung eines Regres­ses gegen einen Sub­un­ter­neh­mer geht.

 

Gui­do Imfeld
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