End­lich: Klar­stel­lung des fran­zö­si­schen obers­ten Gerichts­hofs zum Ver­hält­nis zwi­schen UN-Kauf­recht und fran­zö­si­schem unver­ein­heit­lich­ten Recht

Das UN-Kauf­recht (CISG) ist ein unter der Lei­tung der Ver­ein­ten Natio­nen in 1980 ent­stan­de­nes inter­na­tio­na­les Kauf­recht, das nun­mehr von 83 Staa­ten welt­weit rati­fi­ziert und in natio­na­les Recht umge­setzt wur­de.

In der EU haben das UN-Kauf­recht alle EU-Mit­glied­staa­ten mit der Aus­nah­me von Mal­ta, Por­tu­gal und Eng­land rati­fi­ziert. Auch Staa­ten wie die USA, Chi­na oder Bra­si­li­en sind dem UN-Kauf­recht bei­getre­ten.

Anwend­bar ist das UN-Kauf­recht auf alle grenz­über­schrei­ten­den, d.h. inter­na­tio­na­len Waren­ver­käu­fe zur gewerb­li­chen Zwe­cken. Dies bedeu­tet, dass vor­be­halt­lich eines mög­li­chen Aus­schlus­ses der Anwend­bar­keit des UN-Kauf­rechts sämt­li­che Expor­te der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land die­sem Recht unter­lie­gen. Schät­zun­gen gehen davon aus, dass ca. 85 % aller Impor­te eben­falls dem UN-Kauf­recht unter­fal­len.

Das UN-Kauf­recht regelt die meis­ten Aspek­te des Kauf­ver­tra­ges ein­schließ­lich der Fra­ge des Zustan­de­kom­mens von Ver­trä­gen, ihrer Durch­füh­rung, der Män­gel­ge­währ­leis­tung und Scha­den­er­satz­an­sprü­chen infol­ge von Ver­trags­ver­let­zun­gen.

Anwend­bar ist das UN-Kauf­recht dann, wenn nach Maß­ga­be der Regeln des inter­na­tio­na­len Pri­vat­rechts – in der EU ein­heit­lich gere­gelt durch die Rom I‑Verordnung – das Recht eines Staa­tes Anwen­dung fin­det, in dem das UN-Kauf­recht gilt.

Gemäß Arti­kel 4 Rom I‑VO gilt die Ver­mu­tung, dass ein Kauf­ver­trag dem Recht des Lan­des unter­fällt, in dem der Ver­käu­fer sei­nen Sitz hat. Alter­na­tiv dazu ist gemäß Arti­kel 3 Rom I‑VO eine Rechts­wahl zuläs­sig.

Möch­te man die Anwend­bar­keit des UN-Kauf­rechts aus­schlie­ßen, muss dies aus­drück­lich erfol­gen (so Arti­kel 6 CISG). Wählt man z.B. pau­schal das deut­sche Recht, ist damit das UN-Kauf­recht, da Bestand­teil des deut­schen Rechts, anwend­bar. Glei­ches gilt ent­spre­chend bei der Wahl zum bel­gi­schen und fran­zö­si­schen Recht.

Soweit das UN-Kauf­recht anwend­bar ist, ist der Rück­griff auf die Regeln des natio­na­len, unver­ein­heit­lich­ten Rechts aus­ge­schlos­sen. Nicht gere­gelt wird im UN-Kauf­recht die Fra­ge der Auf­rech­nung, der Stell­ver­tre­tung, des Eigen­tums­über­gangs und der Ver­jäh­rung. Die­se Fra­gen wer­den durch das nach Maß­ga­be des Inter­na­tio­na­len Pri­vat­rechts anwend­ba­re natio­na­le Recht gere­gelt.

Soweit die Fra­ge der Gewähr­leis­tungs­an­sprü­che und dar­aus mög­li­cher­wei­se resul­tie­ren­der Scha­dens­er­satz­an­sprü­che betrof­fen war, regelt das UN-Kauf­recht nach sei­nem Wort­laut ledig­lich die Fra­ge, wel­che Rechts­be­hel­fe der Käu­fer bei man­gel­haf­ter Lie­fe­rung hat. Ob der Ver­käu­fer bei Abschluss des Kauf­ver­tra­ges Kennt­nis von der Ver­trags­wid­rig­keit der Ware hat­te, spielt im UN-Kauf­recht zunächst kei­ne Rol­le. Denn anders als im deut­schen, bel­gi­schen oder fran­zö­si­schen Recht haf­tet der Ver­käu­fer bei Män­geln ver­schul­dens­un­ab­hän­gig auf Scha­dens­er­satz (Arti­kel 74 CISG). Eine Aus­nah­me besteht nur für die Ver­let­zung der Unter­su­chungs- und Rüge­pflicht, auf die der dolo­se Ver­käu­fer sich gemäß Arti­kel 40 CISG nicht beru­fen kann (s.u.).

Im fran­zö­si­schen Recht des Code Civil gibt es hin­ge­gen rich­ter­recht­lich ent­wi­ckelt die unwi­der­leg­ba­re Ver­mu­tung, dass ein pro­fes­sio­nel­ler Ver­käu­fer, der im Ver­hält­nis zum Käu­fer als Spe­zia­list gilt, bei Lie­fe­rung einer man­gel­haf­ten Sache Kennt­nis von dem Man­gel hat und daher dolos han­delt. Auf­grund der unwi­der­leg­ba­ren Ver­mu­tung kommt es auf die tat­säch­li­che Kennt­nis nicht an. Im bel­gi­schen Recht gibt es die­sel­be Ver­mu­tung, aber sie ist wider­leg­bar.

Fol­ge im fran­zö­si­schen oder bel­gi­schen unver­ein­heit­li­chem Recht ist, dass der Käu­fer nicht nur, wie dies in Arti­kel 1644 Code Civil vor­ge­se­hen ist, das Recht hat, die Kauf­sa­che gegen Erstat­tung des Kauf­prei­ses zurück­zu­ge­ben oder Min­de­rung zu ver­lan­gen. Arti­kel 1645 Code Civil bestimmt, dass für den Fall, dass der Ver­käu­fer bei Abschluss des Kauf­ver­tra­ges Kennt­nis von dem Man­gel hat­te, dar­über hin­aus unbe­grenzt Scha­dens­er­satz gefor­dert wer­den kann.

Da der Ver­käu­fer auf­grund der gesetz­li­chen Ver­mu­tung als dolos, d.h. vor­sätz­lich han­delnd ange­se­hen wird, folgt dar­aus fer­ner, dass grund­sätz­lich nach fran­zö­si­schem mate­ri­el­lem Recht Haf­tungs­be­schrän­kun­gen oder –aus­schlüs­se bezüg­lich des Scha­den­er­sat­zes in Fol­ge der Lie­fe­rung einer man­gel­haf­ten Sache unwirk­sam sein kön­nen, wenn der Ver­käu­fer als Spe­zia­list im Ver­hält­nis zum Käu­fer ange­se­hen wird. Im UN-Kauf­recht hin­ge­gen ist, vor­be­halt­lich der mög­li­chen Anwen­dung des jeweils natio­na­len AGB-Rechts, eine Haf­tungs­be­schrän­kung ohne Wei­te­res zuläs­sig.

Dies hät­te zur Fol­ge, dass bei sub­si­diä­rer Anwend­bar­keit des fran­zö­si­schen Rechts der Käu­fer die Nich­tig­keit der Haf­tungs­be­gren­zung ein­wen­den könn­te und er den Beweis der Kennt­nis des Ver­trags­man­gels auf Sei­te des Ver­käu­fers nicht füh­ren müss­te. Dies hat­te bis­her eine erheb­li­che Rechts­un­si­cher­heit zur Fol­ge, weil sich die Rege­lungs­be­rei­che des Gewähr­leis­tungs­rechts des UN-Kauf­rechts und des fran­zö­si­schen Rechts inso­weit über­schnei­den. Ein Teil der Dok­trin und Recht­spre­chung ging dabei davon aus, dass das unver­ein­heit­lich­te Recht des Code Civil par­al­lel anwend­bar blieb, da die vor­sätz­li­che Lie­fe­rung einer man­gel­haf­ten Sache im UN-Kauf­recht nicht gere­gelt sei.

Dies hat auch Fol­gen für die Anwend­bar­keit der Arti­kel 38 und 39 CISG. Das UN-Kauf­recht kennt, anders als das fran­zö­si­sche und bel­gi­sche Recht, jedoch wie das deut­sche Recht, eine Unter­su­chungs- und Rüge­pflicht. Ein gewerb­li­cher Käu­fer ist danach ver­pflich­tet, die Kauf­sa­che bei Lie­fe­rung unver­züg­lich auf Ver­trags­kon­for­mi­tät zu prü­fen und etwa­ige Män­gel wie­der­um unver­züg­lich zu rügen. Erfolgt dies nicht, ist er mit Gewähr­leis­tungs­an­sprü­chen aus­ge­schlos­sen, es sei denn, so Arti­kel 40 CISG, der Ver­käu­fer hat­te posi­ti­ve Kennt­nis von dem Man­gel bei Abschluss des Kauf­ver­tra­ges bzw. Lie­fe­rung. Dies muss der Käu­fer nach UN-Kauf­recht bewei­sen. Nach fran­zö­si­schem und bel­gi­schem Recht gilt jedoch zu Las­ten des pro­fes­sio­nel­len Ver­käu­fers die gesetz­li­che Ver­mu­tung.

Der fran­zö­si­sche obers­te Gerichts­hof – Cour de Cas­sa­ti­on – hat­te sich mit einem Fall zu befas­sen, in dem der Käu­fer die Kauf­sa­che nicht unter­such­te und des­halb einen Man­gel, den er bei ord­nungs­ge­mä­ßer Unter­su­chung hät­te ent­de­cken kön­nen und müs­sen, nicht rüg­te.

Der Käu­fer berief sich jedoch auf­grund der sub­si­diä­ren Anwend­bar­keit des fran­zö­si­schen Rechts auf Arti­kel 40 CISG und wand­te ein, dass der Ver­käu­fer ihm die Ver­let­zung der Unter­su­chungs- und Rüge­pflicht gemäß Arti­kel 38 und 39 CISG nicht ent­ge­gen­hal­ten kön­ne. Denn auf­grund der bestehen­den gesetz­li­chen Ver­mu­tung der Kennt­nis des Man­gels habe der Ver­käu­fer dolos gehan­delt. Beweis hier­für wur­de allein durch die objek­ti­ve Exis­tenz des Man­gels geführt.

Der fran­zö­si­sche obers­te Gerichts­hof ent­schied jedoch, dass im Sys­tem des UN-Kauf­rechts die Ansprü­che des Käu­fers auf­grund eines Man­gels der Kauf­sa­che abschlie­ßend gere­gelt sei­en und inso­weit eine Sper­re für die Anwend­bar­keit des natio­na­len unver­ein­heit­lich­ten Rechts bestehe. Dies schlie­ße auch die gesetz­li­che Ver­mu­tung der Kennt­nis eines Man­gels zu Las­ten des spe­zia­li­sier­ten Ver­käu­fers auf der Grund­la­ge des Code Civil ein.

In die­ser Ent­schei­dung vom 14.11.2014 (Cour de Cas­sa­ti­on, Urteil vom 14.11.2014 – 13–10776 (IHR 2015, 212)) befand die Cour de Cas­sa­ti­on daher, dass sich Män­gel­ge­währ­leis­tungs­an­sprü­che aus­schließ­lich nach dem UN-Kauf­recht rich­ten, ein­schließ­lich der Scha­dens­er­satz­an­sprü­che. Infol­ge des­sen obsieg­te der Ver­käu­fer, da der Käu­fer nicht bewei­sen konn­te, dass der Ver­käu­fer posi­ti­ve Kennt­nis von dem Man­gel bei Abschluss des Kauf­ver­tra­ges hat­te.

In wei­te­rer Aus­le­gung ist man davon aus­ge­hen, dass mit die­ser Ent­schei­dung die Beschrän­kung oder der Aus­schluss von Scha­den­er­satz­an­sprü­chen in Ver­trä­gen, die dem UN-Kauf­recht unter­lie­gen, bei denen jedoch sub­si­di­är das fran­zö­si­sche Recht anwend­bar ist, nun­mehr zuläs­sig ist. Die­se Klar­stel­lung wur­de in der Rechts­pra­xis drin­gend erwar­tet, da die mög­li­che Anwend­bar­keit der gesetz­li­chen fran­zö­si­schen Ver­mu­tung dazu führ­te, dass im Fal­le der Anwend­bar­keit des fran­zö­si­schen Rechts gemäß Arti­kel 3 oder 4 Rom I‑VO effek­ti­ve Haf­tungs­be­schrän­kungs­ver­ein­ba­run­gen nicht rechts­si­cher zu ver­ein­ba­ren waren, auch wenn es sich um Indi­vi­du­al­ver­trä­ge han­delt.

Da sich die bel­gi­sche Recht­spre­chung auf­grund des Umstan­des, dass auch dort der Code Civil anwend­bar ist, häu­fig an Ent­schei­dun­gen der Cour de Cas­sa­ti­on ori­en­tiert, haben wir die Hoff­nung, dass sich die Recht­spre­chung der Cour de Cas­sa­ti­on auch in Bel­gi­en durch­setzt.

Dies soll­te auch für einen wei­te­ren maß­geb­li­chen Bereich des Kauf­rechts gel­ten, näm­lich das Zustan­de­kom­men von Kauf­ver­trä­gen. Gemäß Arti­kel 25 Code Com­mer­ce gilt im bel­gi­schen Recht, dass ein Kauf­mann gehal­ten ist, Mit­tei­lun­gen sei­nes Ver­trags­part­ners, mit deren Inhalt er nicht ein­ver­stan­den ist, umge­hend zu wider­spre­chen.

Dies geht sogar so weit, dass auf­grund von Arti­kel 25 Code de Com­mer­ce im bel­gi­schen Recht die Mög­lich­keit besteht, All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen allein durch Hin­weis auf eine dem Ver­trags­schluss nach­ge­la­ger­te Rech­nung, gegen die der Emp­fän­ger nicht pro­tes­tiert, nach­träg­lich in den Ver­trag ein­zu­be­zie­hen. Dies steht in kras­sem Wider­spruch zu der Ver­trags­me­cha­nik des UN-Kauf­rechts und des­sen Arti­kel 18 CISG, wonach gilt, dass Schwei­gen im Rechts­ver­kehr grund­sätz­lich nichts bedeu­tet und das AGB vor oder spä­tes­tens bei Ver­trags­schluss in den Ver­trag ein­be­zo­gen wer­den müs­se, und zwar durch Über­sen­dung und nicht nur Bezug­nah­me. Im bel­gi­schen Recht kann jedoch das Schwei­gen auf­grund von Arti­kel 25 Code de Com­mer­ce kon­sti­tu­ti­ve Bedeu­tung haben.

Da Arti­kel 18 CISG inso­weit mit Arti­kel 25 Code de Com­mer­ce kol­li­diert, kann aus der vor­ge­nann­ten Ent­schei­dung der Cour de Cas­sa­ti­on in logi­scher Aus­le­gung und Wei­te­rung geschlos­sen wer­den, dass ein Rück­griff auf Arti­kel 25 Code de Com­mer­ce in den Fäl­len, in denen das UN-Kauf­recht Anwen­dung fin­det, aus­ge­schlos­sen ist. Auch hier­mit wäre im inter­na­tio­na­len Han­del erheb­li­che Rechts­si­cher­heit gewon­nen.

Die Ent­schei­dung ist daher nur zu begrü­ßen und es wird abzu­war­ten blei­ben, wie sie in Bel­gi­en rezi­piert und umge­setzt wird.

 

Gui­do Imfeld
Rechts­an­walt / Avo­cat / Advo­caat
Fach­an­walt für inter­na­tio­na­les Wirt­schafts­recht
Fach­an­walt für Han­dels- und Gesell­schafts­recht
Fach­an­walt für gewerb­li­chen Rechts­schutz
Wirt­schafts­me­dia­tor

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Über den Autor

  • Guido Imfeld

    Gui­do Imfeld ist zuge­las­se­ner Anwalt seit 1996 und Fach­an­walt für Inter­na­tio­na­les Wirt­schafts­recht, für Han­dels- und Gesell­schafts­recht. Seit dem Jah­re 2000 ist er auch in Bel­gi­en als Anwalt zuge­las­sen. Zum Anwalts­pro­fil