Die Macht der Wor­te

Bestim­mung des Leis­tungs­ge­gen­stan­des anhand der »all­ge­mein aner­kann­ten Regeln der Tech­nik« oder dem »Stand der Tech­nik« – ein gro­ßer Unter­schied!

 

Sowohl für den Schuld­ner wie auch den Gläu­bi­ger der Leis­tung ist von wesent­li­cher Bedeu­tung, den Leis­tungs­ge­gen­stand kon­kret zu defi­nie­ren.

Bei dem Kauf z.B. einer Stan­dard-Maschi­ne geht es meis­tens um die Bezeich­nung der Maschi­ne sowie die Dau­er der Gewähr­leis­tung sowie even­tu­el­ler ver­trag­li­cher Garan­tien. Anders ver­hält es sich jedoch häu­fig bei Pla­nungs­leis­tun­gen, Über­wa­chungs­leis­tun­gen, der Auf­trags­ent­wick­lung und Her­stel­lung von Maschi­nen als Ein­zel­an­fer­ti­gun­gen.

In die­sem Fal­le gibt es häu­fig ein Kom­pe­tenz­ge­fäl­le zwi­schen Auf­trag­ge­ber und ‑neh­mer. Auf­grund der im Regel­fall höhe­ren Spe­zia­li­sie­rung des Anbie­ters der Leis­tung möch­te der Auf­trag­ge­ber ver­trag­lich sicher­stel­len, dass er die best­mög­li­che Leis­tung erhält.

Häu­fig neh­men daher Las­ten­hef­te, Rah­men­ver­trä­ge etc. Bezug auf aner­kann­te Regeln der Tech­nik, all­ge­mein aner­kann­te Regeln der Tech­nik, den Stand der Tech­nik, den Stand von Wis­sen­schaft und Tech­nik oder DIN- bzw. EN-Nor­men.

Die­se Begrif­fe wer­den in der Ver­trags­pra­xis jedoch häu­fig als Syn­onym ver­stan­den und ver­wen­det, ins­be­son­de­re, wenn Las­ten­hef­te oder Rah­men­ver­trä­ge ohne anwalt­li­che Hil­fe erstellt wer­den. Erschwe­rend kommt häu­fig hin­zu, dass bei inter­na­tio­na­len Ver­trä­gen die Ver­trags­spra­che eine ande­re ist als die­je­ni­ge der Ver­trags­par­tei­en. So wer­den in aller Regel Ver­trä­ge z.B. zwi­schen deut­schen und bel­gi­schen oder deut­schen und fran­zö­si­schen Unter­neh­men auf Eng­lisch geschlos­sen, so dass man häu­fig froh ist, eine akzep­ta­ble Über­set­zung des­sen in den Ver­trag ein­ge­bracht zu haben, was man glaubt, ver­trag­lich ver­ein­ba­ren zu wol­len, frei nach dem Bon­mot, dass schlech­tes Eng­lisch die auf der Welt am häu­figs­ten gespro­che­ne Spra­che ist.

Häu­fig erlebt dabei die eine oder ande­re Par­tei eine Über­ra­schung, wenn es zum Schwur kommt, d.h., wenn die Leis­tung erbracht wird und hin­ter die Erwar­tun­gen einer Par­tei zurück­fällt. Dann hilft ein Blick in den Ver­trag.

Dabei gilt aber, dass die (all­ge­mein) aner­kann­ten Regeln der Tech­nik in der Rea­li­tät etwas ganz ande­res als der Stand der Tech­nik bzw. der Stand von Wis­sen­schaft und Tech­nik.

 

1. (All­ge­mein) Aner­kann­te Regeln der Tech­nik

Häu­fig wird die zu erbrin­gen­de Leis­tung unter Hin­weis auf „aner­kann­te Regeln der Tech­nik“ oder „all­ge­mein aner­kann­te Regeln der Tech­nik“ defi­niert.

Im Bereich der Werk­ver­trä­ge, sei dies gemäß VOB/B oder dem zivil­recht­li­chen Werk­ver­trag, han­delt es sich dabei jedoch ledig­lich um einen Min­dest­stan­dard, der nicht legal defi­niert ist.

Eine Regel ist nach der Recht­spre­chung dann eine (all­ge­mein) aner­kann­te Regel der Tech­nik, wenn sie die ganz vor­herr­schen­de Ansicht der tech­ni­schen Fach­leu­te dar­stellt. Die­se Regel muss all­ge­mei­ne wis­sen­schaft­li­che Aner­ken­nung, dar­über hin­aus aber auch Ein­gang in die Pra­xis gefun­den haben. Es kommt daher auf die prak­ti­sche Bewäh­rung an. Auf bei­den Ebe­nen muss die Regel der ganz über­wie­gen­den Ansicht der Fach­leu­te ent­spre­chen.

In der Recht­spre­chung ist aner­kannt, dass „aner­kann­te Regeln der Tech­nik“ und „all­ge­mein aner­kann­te Regeln der Tech­nik“ syn­onym sind.

 

2. Stand der Tech­nik

Der Stand der Tech­nik geht dage­gen viel wei­ter.

„Stand der Tech­nik“ wie auch „Stand von Wis­sen­schaft und Tech­nik“ haben ein dyna­mi­sches Ele­ment, wäh­rend den all­ge­mein aner­kann­ten Regeln der Tech­nik ein eher tra­di­tio­nel­les Moment inne wohnt. Neue tech­ni­sche Ver­fah­ren set­zen sich lang­sam durch und wer­den erst spät all­ge­mein aner­kannt. Der Stand der Tech­nik ist daher fort­schritt­li­cher und dyna­mi­scher als die all­ge­mein aner­kann­ten Regeln der Tech­nik.

 

3. Drei-Stu­fen-Theo­rie

Deut­lich wird der Unter­schied unter Rück­griff auf die soge­nann­te 3‑Stu­fen-Theo­rie, die der herr­schen­den Mei­nung in Lite­ra­tur und Recht­spre­chung ent­spricht.

Dabei bil­den die all­ge­mein aner­kann­ten Regeln der Tech­nik die nied­rigs­te Stu­fe. Wird die­ser Stan­dard ver­wen­det, schul­det der Erbrin­ger der Leis­tung ledig­lich eine Leis­tung, die im Wege einer empi­risch getrof­fe­nen Fest­stel­lung der Mehr­heits­auf­fas­sung unter den tech­ni­schen Prak­ti­kern ent­spricht.

Der Stand der Tech­nik ist dage­gen weit anspruchs­vol­ler. Um das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfGE 49, 89 (135 f.) = NJW 1979, 359 (362) in der weg­wei­sen­den Kal­kar-Ent­schei­dung zu zitie­ren, wird durch die­se Klau­sel der Maß­stab für das Geschul­de­te, das Erlaub­te und Gebo­te­ne an die Front des tech­ni­schen Fort­schritts ver­la­gert.

Am dyna­mischs­ten in der der Drei-Stu­fen-Theo­rie ist dabei der Tech­nik­stan­dard „Stand von Wis­sen­schaft und Tech­nik“, weil die­ser die neu­es­ten tech­ni­schen und wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­se umfasst und er ins­be­son­de­re nicht durch das gegen­wär­tig Rea­li­sier­te und Mach­ba­re begrenzt wird.

Die Drei-Stu­fen-Theo­rie illus­triert, dass der Leis­tungs­ge­gen­stand durch die jewei­li­ge Bezug­nah­me völ­lig anders defi­niert wer­den kann. Der­je­ni­ge, der z.B. eine „Sta­te of the Art“- EDV-Lösung erwar­tet, erhält daher im Streit­fall wohl eher weni­ger als er erwar­tet, wenn die Leis­tung ins Las­ten­heft durch die aner­kann­ten Regeln der Tech­nik kon­kre­ti­siert wird.

Für für den Unter­neh­mer, der sich zu einer Leis­tung ver­pflich­tet, kann die Abgren­zung gra­vie­ren­de Aus­wir­kun­gen haben. Denn wenn er nach den aner­kann­ten Regeln der Tech­nik arbei­tet, jedoch z.B. den Stand von Wis­sen­stand und Tech­nik schul­det, bleibt sei­ne Leis­tung, die Ist-Beschaf­fen­heit, hin­ter der geschul­de­ten, der Soll-Beschaf­fen­heit, zurück.

Der­je­ni­ge, der eine Maschi­ne erwer­ben möch­te, bei der er sicher gehen will, dass die­se pra­xis­er­probt ist, soll­te hin­ge­gen eher nach den aner­kann­ten Regeln der Tech­nik vor­ge­hen, wobei ihm in aller Regel DIN- und EN-Nor­men zur Kon­kre­ti­sie­rung des­sen die­nen kön­nen, was als all­ge­mein aner­kann­ter Stand der Tech­nik ange­se­hen wird.

Dabei gilt jedoch, dass die­se DIN-Nor­men nur wider­leg­ba­re Ver­mu­tun­gen für die­se Kon­kre­ti­sie­rung sind, jedoch kei­ne Geset­zes­kraft haben.

Nach Maß­ga­be der 3‑Stu­fen-Theo­rie wäre es daher grob feh­ler­haft, die Begrif­fe „Aner­kann­te Regeln der Tech­nik“ und „Stand der Tech­nik“ syn­onym zu ver­wen­den. Dies erfolgt jedoch lei­der viel zu häu­fig, gera­de in Ver­trä­gen mit Aus­lands­be­zug.

 

Gera­de Begrif­fe, die nicht genau gesetz­lich defi­niert sind und Inter­pre­ta­ti­ons­spiel­raum bie­ten, soll­ten nur nach reif­li­cher Über­le­gung Ein­gang in Ver­trä­ge fin­den.


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