In unse­rer Pra­xis haben wir es häu­fig mit Fäl­len zu tun, in denen Inter­es­sen­ten von Immo­bi­li­en in Bel­gi­en oder Frank­reich unlieb­sa­me Über­ra­schun­gen erle­ben, näm­lich dann, wenn sie fest­stel­len, dass – anders als in Deutsch­land – die Wirk­sam­keit eines Immo­bi­li­en­kauf­ver­tra­ges zwi­schen den Par­tei­en nicht der nota­ri­el­len Beur­kun­dung bedarf.

In Deutsch­land ist die Rechts­la­ge ein­deu­tig: Bevor nicht bei­de Par­tei­en ihre Unter­schrift unter die nota­ri­el­le Urkun­de geleis­tet haben, ent­steht kei­ne Ver­pflich­tung zur Über­tra­gung des Eigen­tums an einer Immo­bi­lie oder zur Zah­lung des Kauf­prei­ses.

In Bel­gi­en und Frank­reich ist dies anders: Im Zwei­fel ist in die­sen Rechts­ord­nun­gen ein Kauf­ver­trag schon geschlos­sen, wenn Kauf­preis und Kauf­ge­gen­stand bestimmt bzw. bestimm­bar sind. Soweit im deut­schen Recht ein Kauf­ver­trag im Zwei­fel solan­ge als nicht geschlos­sen gilt, wie die Par­tei­en sich nicht über alle wesent­li­chen Punk­te oder die bespro­che­nen Punk­te geei­nigt haben, gilt im bel­gi­schen oder fran­zö­si­schen Recht die umge­kehr­te Ver­mu­tung, d.h., im Zwei­fel ist der Ver­trag geschlos­sen.

Fer­ner gilt: Ein Kauf­vor­ver­trag steht in sei­ner Wir­kung dem Kauf­ver­trag gleich (La pro­mes­se de ven­te vaut ven­te.).

Daher reicht bereits eine beweis­ba­re münd­li­che Über­ein­kunft, um einen wirk­sa­men Kauf­ver­trag über eine Immo­bi­lie abzu­schlie­ßen. Da jedoch in aller Regel bereits ab gering­fü­gi­gen Geld­be­trä­gen zwi­schen Pri­vat­leu­ten gilt, dass der Beweis für einen geld­wer­ten Anspruch nur mit Schrift­stü­cken geführt wer­den kann, sind Rechts­strei­tig­kei­ten auf­grund aus­schließ­lich münd­li­cher Zusa­gen eher sel­ten.

Häu­fi­ger sind sie, wenn eine Par­tei z.B. eine quit­tier­te Anzah­lung leis­tet, um die Immo­bi­lie zu reser­vie­ren oder in ande­rer Wei­se schrift­lich oder per E‑Mail ein Ange­bot abgibt, das die ande­re Par­tei annimmt. In die­sem Fall ist ein zwi­schen den Par­tei­en wirk­sa­mer Kauf­ver­trag abge­schlos­sen wor­den, aus dem der Käu­fer ver­pflich­tet wer­den kann, den Kauf­ver­trag nota­ri­ell beur­kun­den zu las­sen.

Denn auch in Bel­gi­en und Frank­reich ist die nota­ri­el­le Beur­kun­dung not­wen­dig, aller­dings eben nicht zur Her­bei­füh­rung der Wirk­sam­keit des Kauf­ver­tra­ges zwi­schen den Par­tei­en, son­dern zur Her­bei­füh­rung der soge­nann­ten Dritt­wirk­sam­keit: Erst per nota­ri­el­ler Urkun­de kann der Käu­fer auch Drit­ten gegen­über sein Eigen­tum nach­wei­sen und behaup­ten. Fer­ner gibt es eine steu­er­recht­li­che Ver­pflich­tung zur Durch­füh­rung der nota­ri­el­len Beur­kun­dung und Ein­tra­gung inner­halb von vier Mona­ten nach Abschluss eines Kauf­vor­ver­tra­ges.

In Flan­dern gilt jedoch der Arti­kel 101 Bodem­de­creet. Die­ser ver­pflich­tet den Ver­käu­fer, dem Käu­fer das soge­nann­te „bode­mat­test“ dem Käu­fer vor Abschluss des Kauf­ver­tra­ges zur Ver­fü­gung zu stel­len. Dabei kommt es auf den Zeit­punkt an, an dem die Ver­pflich­tun­gen wirk­sam wer­den sol­len. Dies bedeu­tet, dass der Ver­käu­fer, der sich auf die Wirk­sam­keit des Kauf­vor­ver­tra­ges oder des pri­vat­schrift­lich geschlos­se­nen Kauf­ver­tra­ges beruft, nach­wei­sen muss, das Boden­at­test zuvor dem Käu­fer über­mit­telt zu haben.

Aller­dings stellt sich in die­sem Zusam­men­hang in der Recht­spre­chung die Fra­ge des Rechts­miss­brau­ches: Wie ver­hält es sich, wenn das Bode­mat­test zwar nicht vor Abschluss des pri­vat­schrift­li­chen Kauf­ver­tra­ges, jedoch aus­rei­chend früh vor der nota­ri­el­len Beur­kun­dung über­mit­telt wur­de und sich aus dem Boden­at­test ergibt, dass der Kauf beden­ken­los durch­ge­führt wer­den kann?

In die­sem Fall liegt es nahe, wenn der Ver­käu­fer ein­wen­det, der Käu­fer, der sich aus dem Kauf­ver­trag zurück­zie­hen wol­le, suche einen for­ma­len Vor­wand, um sei­ne Kauf­reue zu recht­fer­ti­gen.

Der bel­gi­sche obers­te Gerichts­hof (Cour de Cas­sa­ti­on) ent­schied hier am 24.06.2010, dass in einem sol­chen Fall die Annul­lie­rung des Kauf­ver­tra­ges nicht unbe­dingt einen Rechts­miss­brauch dar­stellt, da ansons­ten die Ver­pflich­tung aus Arti­kel 101 des flä­mi­schen Bodem­de­creet leer lie­fe. Denn Arti­kel 101 des Bodem­de­creet soll nicht nur vor vor­ei­li­gem Abschluss des Kauf­ver­tra­ges vor Kennt­nis aller wesent­li­chen Tat­sa­chen schüt­zen, son­dern auch davor, einen Scha­den auf­grund zu spä­ter Über­mitt­lung zu erlei­den.

Im Gefol­ge die­ser Ent­schei­dung hat auch der Beru­fungs­ge­richts­hof von Ant­wer­pen am 04.02.2013 ent­schie­den, dass die Käu­fer sich auf die Nich­tig­keit des Kauf­ver­tra­ges selbst in dem zu ent­schei­den­den Fall beru­fen konn­te, in dem der Kauf­vor­ver­trag noch eine auf­schie­ben­de Bedin­gung ent­hielt.

Soll­te also ein mit der Rechts­la­ge in Bel­gi­en nicht ver­trau­ter Käu­fer vor­ei­lig sei­ne Unter­schrift unter ein pri­vat­schrift­li­ches Doku­ment in dem Ver­trau­en gesetzt haben, das bel­gi­sche Recht sei wie das deut­sche Recht struk­tu­riert, was den Immo­bi­li­en­kauf angeht, kann ihm unter Umstän­den Arti­kel 101 des Bodem­de­creet hel­fen; aller­dings nur unter der Vor­aus­set­zung, dass sich die Immo­bi­lie im flä­mi­schen Teil Bel­gi­ens befin­det, denn eine ent­spre­chen­de Pflicht gibt es im fran­zö­sisch­spra­chi­gen Teil Bel­gi­ens (Wal­lo­ni­en) oder in Brüs­sel nicht.

 

Gui­do Imfeld
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