1. Defi­ni­ti­on des Werk­ver­tra­ges

Der Werk­ver­trag wird im bel­gi­schen Recht wie folgt defi­niert:

«Une con­ven­ti­on par laquel­le une per­son­ne, l´entrepreneur, s´engage envers une aut­re, le maît­re de l´ouvrage, à effec­tuer, moy­enn­ant le pai­ement d´un prix, un tra­vail ou un ser­vice déter­mi­né, sans ali­é­ner son indé­pen­dance dans l´exécution maté­ri­el­le de ses enga­ge­ments ni dis­po­ser d´un pou­voir de repré­sen­ta­ti­on.»

In frei­er Über­set­zung:

“Ein Werk­ver­trag ist ein Ver­trag, durch den sich eine Per­son, der Unter­neh­mer, gegen­über einer ande­ren, dem Auf­trag­ge­ber (oder Bau­herr) ver­pflich­tet, gegen Zah­lung eines Prei­ses eine bestimm­te Arbeit oder eine bestimm­te Dienst­leis­tung zu erbrin­gen, ohne in der mate­ri­el­len Aus­füh­rung der Ver­pflich­tun­gen sei­ne Unab­hän­gig­keit zu ver­lie­ren oder Auf­trag­neh­mer (im Sin­ne eines Auf­trags bzw. Man­dats, der Unter­zeich­ner) zu sein.“

2. Abgren­zungs­kri­te­ri­en

Recht­spre­chung und Leh­re sind in Bel­gi­en hin­sicht­lich der Abgren­zungs­kri­te­ri­en unein­heit­lich.

Die maß­geb­li­chen Abgren­zungs­kri­te­ri­en sind die Her­stel­lung eines spe­zi­fi­schen Gegen­stan­des oder die Her­stel­lung eines Gegen­stan­des oder Bau­werks aus von dem Auf­trag­ge­ber bereit­zu­stel­len­den Stof­fen und Mate­ria­li­en. Eine drit­te Mei­nung knüpft an den Par­tei­wil­len an.

Ein Teil der Recht­spre­chung geht aller­dings auch von dem Vor­lie­gen gemisch­ter Ver­trä­ge aus, die – soweit im Ein­zel­nen abgrenz­bar – sowohl kauf- als auch werk­ver­trag­li­che Ele­men­te beinhal­ten.

Die­se Abgren­zung ist nicht unwe­sent­lich, da im bel­gi­schen Kauf­recht zulas­ten des Lie­fe­ran­ten einer Sache, die einen ver­steck­ten Man­gel auf­weist, (wider­leg­bar) ver­mu­tet wird, dass der – spe­zia­li­sier­te – Ver­käu­fer Kennt­nis von dem Man­gel zum Zeit­punkt der Lie­fe­rung hat­te und des­halb dolos han­del­te. Infol­ge des­sen greift Arti­kel 1645 Code Civil, wonach eine unbe­schränk­te Scha­dens­er­satz­ver­pflich­tung des Ver­käu­fers für Fol­ge­schä­den besteht, die ver­trag­lich, auch indi­vi­du­al­ver­trag­lich, nicht ein­ge­schränkt oder abbe­dun­gen wer­den kann. Ein sol­che Ver­mu­tung besteht im Recht des Werk­ver­tra­ges nicht (sie­he dazu unten).

3. Erfolg oder Bemü­hen

Die Recht­spre­chung zum Werk­ver­trags­recht dif­fe­ren­ziert danach, ob der Werk­ver­trag auf einen Erfolg gerich­tet ist oder auf ein Bemü­hen (obli­ga­ti­on de résul­tat ou obli­ga­ti­on de moy­en).

Eine obli­ga­ti­on de résul­tat wird in der Regel dann ange­nom­men, wenn es sich bei dem Schuld­ner der Leis­tung um einen spe­zia­li­sier­ten Unter­neh­mer han­delt. Häu­fig wird daher in dem bel­gi­schen Recht unter­lie­gen­den Ver­trä­gen in der Prä­am­bel oder an geeig­ne­ter Stel­le zum Aus­druck gebracht, dass sich bei dem Auf­trag­neh­mer um ein spe­zia­li­sier­tes Unter­neh­men han­delt. Die­ses kei­ne freund­li­che Aner­ken­nung, son­dern qua­li­fi­ziert den Werk­ver­trag und erwei­tert die Haf­tung des Unter­neh­mers.

Bei der Errich­tung eines neu­en Bau­werks geht die Recht­spre­chung grund­sätz­lich davon aus, dass ein Erfolg geschul­det wird. Die Geeig­ne­t­heit des Bau­grun­des, die Aus­wahl der Mate­ria­li­en, die Errich­tung des Bau­wer­kes etc. unter­fal­len der obli­ga­ti­on de résul­tat.

4. Haf­tungs­re­gime

Der Auf­trag­neh­mer haf­tet gemäß den jewei­li­gen Bestim­mun­gen des Ver­tra­ges und gemäß Gesetz für Män­gel sei­ner Leis­tung.

Bei den Män­geln ist zwi­schen offen­sicht­li­chen (vices appar­ents) und ver­steck­ten Män­geln (vices cachés) zu unter­schei­den. Bei den ver­steck­ten Män­gel ist wie­der­um zu unter­schei­den zwi­schen „ein­fa­chen“ ver­steck­ten Män­geln (vices véniels) und sol­chen, die die Soli­di­tät und Sta­bi­li­tät des Bau­werks beein­träch­ti­gen.

a)

Das bel­gi­sche Rech schließt die Gewähr­leis­tung für offen­sicht­li­che Män­gel aus. Offen­sicht­li­che Män­gel sind sol­che Män­gel, die bei gehö­ri­ger Auf­merk­sam­keit von dem Bau­herrn hät­ten ent­deckt wer­den kön­nen und die die­ser sich nicht bei der Abnah­me vor­be­hal­ten hat. Anders als im deut­schen Recht kommt es daher nicht auf den Nach­weis der posi­ti­ven Kennt­nis von die­sen Män­geln an.

b)

Män­gel, die nicht zu einer Beein­träch­ti­gung der Soli­di­tät und Sta­bi­li­tät des Bau­werks, soge­nann­te vices véniels, füh­ren, unter­fal­len dem all­ge­mei­nen Regime der Gewähr­leis­tung. Die Gewähr­leis­tungs­frist beträgt gemäß Art. 2262bis Zivil­ge­setz­buch 10 Jah­re. Aller­dings muss der Auf­trag­ge­ber einen von ihm inner­halb die­ser Frist ent­deck­ten Man­gel anzei­gen und in ange­mes­se­ner Zeit (en temps uti­le) gericht­li­che Schrit­te zur Durch­set­zung sei­ner Gewähr­leis­tungs­an­sprü­che ein­lei­ten. Die Haf­tung und Gewähr­leis­tung für vices véniels kann ver­trag­lich aus­ge­schlos­sen oder ein­ge­schränkt wer­den.

c)

Män­gel, die die Sta­bi­li­tät und Soli­di­tät eines Bau­werks beein­träch­ti­gen bzw. geeig­net sind, die­se lang­fris­tig zu beein­träch­ti­gen, unter­fal­len einem spe­zi­el­len Haf­tungs­re­gime, der soge­nann­ten 10-jäh­ri­gen Garan­tie (garan­tie décen­na­le) in Anleh­nung an Arti­kel 1792 und 2270 Zivil­ge­setz­buch.

Die­se lau­ten:


Arti­kel 1792

Wenn das zu einem Pau­schal­preis errich­tet Gebäu­de auf­grund eines Bau­man­gels oder selbst auf­grund der feh­ler­haf­ten Beschaf­fen­heit des Bodens ganz oder teil­wei­se zu Grun­de geht, haf­ten der Archi­tekt und der Unter­neh­mer wäh­rend 10 Jah­ren dafür.

Arti­kel 2270

Nach 10 Jah­ren sind Archi­tek­ten und Unter­neh­mer von der Ver­bind­lich­keit befreit, für die von Ihnen oder unter ihrer Lei­tung errich­te­ten Bau­wer­ke zu haf­ten.

Wie aus Arti­kel 1792 ZGB her­vor­geht, gehört zur Ver­ant­wor­tung des Archi­tek­ten und des Bau­un­ter­neh­mers auch die Geeig­ne­t­heit des Bau­grun­des.

Die­se 10-jäh­ri­ge Garan­tie hat die Beson­der­heit, dass sie dritt­schüt­zen­den Cha­rak­ter hat. Die Vor­schrift unter­fällt dem ord­re public. Es soll nicht nur sicher­ge­stellt wer­den, dass das zu errich­ten­de oder errich­te­te Bau­werk für den Bau­herrn sicher ist, son­dern auch für unbe­tei­lig­te Drit­te. Des­halb kann die 10-jäh­ri­ge Haf­tung für Män­gel, die die Soli­di­tät und Sta­bi­li­tät des Bau­wer­kes zu beein­träch­ti­gen geeig­net sind, weder ein­ge­schränkt noch aus­ge­schlos­sen wer­den. Dies gilt sowohl für das Innen- wie auch das Außen­ver­hält­nis. Im Rah­men der garan­tie décen­na­le besteht, und zwar auf­grund ihres dritt­schüt­zen­den Cha­rak­ters, auch eine Haf­tung für offen­sicht­li­che Män­gel. Die­se Recht­spre­chung wur­de unlängst durch die Cour de Cas­sa­ti­on mit Ent­schei­dun­gen vom 04.04.2003 und 02.02.2006 bestä­tigt.

Die Recht­spre­chung hat den Begriff der Män­gel, die die Soli­di­tät und Sta­bi­li­tät des Bau­werks zu beein­träch­ti­gen geeig­net sind, in den letz­ten Jahr­zehn­ten kon­ti­nu­ier­lich aus­ge­dehnt. Wäh­rend ursprüng­lich nur Män­gel an den Fun­da­men­ten, Mau­ern, Dach­kon­struk­tio­nen, Trä­ger­kon­struk­tio­nen etc., also Gewer­ke, die die Sta­bi­li­tät und Soli­di­tät eines Bau­werks gewähr­leis­ten, die zehn­jäh­ri­ge Haf­tung aus­lö­sen konn­ten, haf­tet der Unter­neh­mer z.B. auch für die feh­ler­haf­te Instal­la­ti­on einer Zen­tral­hei­zung, den Ein­bau eines Fahr­stuhls, die Her­stel­lung einer Außen­ter­ras­se oder die Her­stel­lung eines Rohr­lei­tungs­sys­tems für eine Scho­ko­la­den­fa­bri­ka­ti­on. Mitt­ler­wei­le sind auch Feuch­tig­keits­schä­den tra­gen­der und nicht tra­gen­der Mau­ern, feh­ler­haf­te Iso­lie­rung, Schim­mel­bil­dung, schad­haf­te Dächer, Ris­se im Putz, Schad­haf­tig­keit von Hei­zungs­lei­tun­gen, schad­haf­te Regen­rin­nen (mit dem Risi­ko der Infil­tra­ti­on von Was­ser), feh­ler­haf­te Kon­zep­ti­on oder Instal­la­ti­on einer man­gel­haf­ten Hei­zung als sol­che Män­gel defi­niert wor­den.

Als vices véniels gel­ten hin­ge­gen z.B. Män­gel von Deko­ra­ti­ons­ele­men­ten, Wand­ver­klei­dun­gen, am Putz, an Ver­blen­dun­gen, bei Maler­ar­bei­ten etc.

d)

Der Kas­sa­ti­ons­ge­richts­hoft hat in einer grund­sätz­li­chen Ent­schei­dung vom 05.12.2002 aus­drück­lich fest­ge­stellt, dass es im Gegen­satz zum Kauf­recht in der Per­son des spe­zia­li­sier­ten Unter­neh­mens kei­ne Ver­mu­tung der Kennt­nis eines Man­gels gibt. Im Gegen­satz zu dem bereits ange­spro­che­nen Haf­tungs­re­gime des Kauf­rech­tes muss der Auf­trag­ge­ber daher im Bereich des Werk­ver­trags­rechts den Beweis für das Vor­lie­gen eines Man­gels füh­ren. Der Beru­fungs­ge­richts­hof Lüt­tich hat eben­falls aus­drück­lich bestä­tigt, dass es kei­ne ana­lo­ge Anwen­dung des kauf­recht­li­chen Regimes der Ver­mu­tung der Kennt­nis von dem Man­gel auf Werk­ver­trä­ge gibt.

Der Unter­neh­mer kann sich dadurch ent­las­ten, dass er gel­tend macht, es lie­ge ein unüber­wind­ba­res Hin­der­nis, den Man­gel zu ken­nen, vor (en prou­vant qu´il s´est trou­vé dans l´ignorance invin­ci­b­le du vice). Die­se Hür­de ist aller­dings erfah­rungs­ge­mäß sehr hoch.

Strei­tig war lan­ge Zeit, ob der spe­zia­li­sier­te Unter­neh­mer sich sei­ner Haf­tung durch Ver­weis auf die Hin­zu­zie­hung von Spe­zia­lis­ten ent­zie­hen kann. Die Cour de Cas­sa­ti­on hat in einer Ent­schei­dung vom 03.03.1978 jedoch zuge­las­sen, dass der Unter­neh­mer und der Archi­tekt sich durch Hin­zu­zie­hung von wei­te­ren Spe­zia­lis­ten exkul­pie­ren kön­nen.

e)

Die Haf­tung aus der garan­tie décen­na­le geht, sofern kei­ne beson­de­ren Haf­tungs­tat­be­stän­de in dem Ver­trag vor­ge­se­hen sind, zunächst auf Natu­ra­ler­fül­lung, d.h. Repa­ra­tur und Behe­bung des Man­gels. Dane­ben haf­tet der Unter­neh­mer auf Ent­schä­di­gung für die Beein­träch­ti­gung oder Unmög­lich­keit der Nut­zung des Bau­werks und Fol­ge­schä­den.

f)

Der Zeit­punkt des Beginns der 10-jäh­ri­gen Garan­tie ist der­je­ni­ge der agréa­ti­on.

Im bel­gi­schen Recht sind die récep­ti­on pro­vi­so­i­re und récep­ti­on défi­ni­ti­ve üblich. Wäh­rend die récep­ti­on pro­vi­so­i­re ledig­lich den Gefahr­über­gang bewirkt und die Fest­stel­lung der Been­di­gung der Arbei­ten mar­kiert, bewirkt erst die récep­ti­on défi­ni­ti­ve die Abnah­me des Wer­kes als Ver­trags­er­fül­lung.

Die Par­tei­en sind grund­sätz­lich frei, den Beginn einer ver­trag­li­chen Garan­tie oder der gesetz­li­chen Gewähr­leis­tung ver­trag­lich zu bestim­men, jedoch nur für Män­gel außer­halb des Anwen­dungs­be­reichs der garan­tie décen­na­le. Gemäß einer Ent­schei­dung der Cour de Cas­sa­ti­on vom 04.03.1977 beginnt die Ver­jäh­rung bei der garan­tie décen­na­le erst mit dem Zeit­punkt der agréa­ti­on. Die­ser ent­spricht der récep­ti­on défi­ni­ti­ve.

Aller­dings geht ein Teil der Leh­re davon aus, dass auch der Zeit­punkt des Laufs der Ver­jäh­rung der garan­tie décen­na­le einer ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­rung zugäng­lich sein müss­te.

Da auch die Las­ten­hef­te der öffent­li­chen Auf­trag­ge­ber den Lauf der Gewähr­leis­tungs­frist an die récep­ti­on pro­vi­so­i­re knüp­fen, scheint die­se Theo­rie im Vor­drin­gen begrif­fen zu sein. Die Vor­sicht gebie­tet aller­dings, der stren­ge­ren Aus­le­gung unter Berück­sich­ti­gung des ord­re public-Cha­rak­ters der garan­tie décen­na­le den Vor­zug zu geben.

Wäh­rend es für ver­steck­te Män­gel, die die Soli­di­tät und Sta­bi­li­tät des Bau­werks nicht beein­träch­ti­gen (vices véniels), die Pflicht gibt, inner­halb eines ange­mes­se­nen Zeit­raums (délai uti­le) Män­gel gerichts­an­hän­gig gel­tend zu machen, gibt einen sol­chen délai uti­le nicht im Bereich der garan­tie décen­na­le. Hier kann der Garan­tie­an­spruch jeder­zeit inner­halb der 10-jäh­ri­gen Frist gel­tend gemacht wer­den, wobei aller­dings gilt, dass Beweis­si­che­rungs­ver­fah­ren die Gewähr­leis­tungs­frist nicht unter­bre­chen.

 

Gui­do Imfeld
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Über den Autor

  • Guido Imfeld

    Gui­do Imfeld ist zuge­las­se­ner Anwalt seit 1996 und Fach­an­walt für Inter­na­tio­na­les Wirt­schafts­recht, für Han­dels- und Gesell­schafts­recht. Seit dem Jah­re 2000 ist er auch in Bel­gi­en als Anwalt zuge­las­sen. Zum Anwalts­pro­fil