Entscheidung des OLG Frankfurt vom 01.07.2014

Die meisten Rechtsordnungen in Europa, darunter auch diejenigen Deutschlands und Belgiens, enthalten im Bereich des Zivilprozessrechts Vorschriften zum einstweiligen Rechtsschutz.

In Fällen besonderer, entweder darzulegender oder wie z.B. im gewerblichen Rechtsschutz vermuteter Dringlichkeit, kann die in ihren Rechten verletzte Partei einstweiligen Rechtsschutz beantragen und damit eine unverzügliche gerichtliche Entscheidung zur Sicherung ihrer Rechte erlangen.

Im deutschen Recht ist der einstweilige Rechtsschutz in den §§ 916 ff. der Zivilprozessordnung geregelt.

Das Verfahren ist in aller Regel zunächst einseitig. Dies bedeutet, dass das Gericht nach Prüfung der Schlüssigkeit des Antrages und Darlegung der Dringlichkeit ohne Anhörung des Gegners eine einstweilige Verfügung erlässt. Diese ist dem Antragsgegner im Parteibetrieb zuzustellen.

Parteibetrieb bedeutet, dass die Entscheidung auf Veranlassung des Gläubigers des Anspruches mittels Gerichtsvollzieher zuzustellen ist. Hierfür sieht § 929 Abs. 2 ZPO eine sogenannte Vollziehungsfrist durch Zustellung (innerhalb eines Monats seit Verkündung des Beschlusses) vor.

Innerhalb dieses Zeitpunkts muss der Antrag zugestellt sein. Ist dies nicht der Fall, kann der Antragsgegner die Aufhebung des Beschlusses verlangen.

In aller Regel ist es in Deutschland kein Problem, die Vollziehungsfrist bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt einzuhalten.

Problematisch wird die Angelegenheit allerdings, wenn der Antragsgegner seinen Sitz im Ausland hat.

Denn in diesem Fall verliert die antragstellende Partei spätestens ab der Grenze die Kontrolle über die Dauer der Zustellung. Der Verlust der erreichten Rechtsposition durch Ablauf der Vollziehungsfrist droht daher, ohne dass der Antragsteller hierauf wesentlich Einfluss nehmen kann.

Mit einem solchen Fall einer nicht fristgerechten Vollziehung einer im Ausland zuzustellenden Unterlassungsverfügung hatte sich das OLG Frankfurt in einem Beschluss vom 01.07.2014 (Az.: 6 U 104/14) auseinanderzusetzen.

In der Sache völlig zurecht und praxisgerecht entschied der Senat in dem vorgenannten Beschluss, dass es zur fristgerechten Vollziehung einer Unterlassungsverfügung gegenüber einem im Ausland ansässigen Titelschuldner ausreichend sei, wenn der Gläubiger innerhalb der Vollziehungsfrist den Antrag auf Auslandzustellung bei Gericht einreicht und die tatsächliche Zustellung „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO, d.h. ohne eine vom Gläubiger zu vertretende Verzögerung bewirkt wird.

Die Zustellung „demnächst“ setzt voraus, dass die Zustellung so schnell als möglich vom Gläubiger betrieben wird und keine in seiner Sphäre liegenden Hemmnisse die Zustellungsdauer beeinträchtigen. Erfolgt die Zustellung innerhalb der Monatsfrist, stellt sich kein Problem. Erfolgt die Zustellung, wie bei Auslandszustellungen üblich, nach Ablauf der Frist, ist daher nachzuweisen, dass der Gläubiger alles in seiner Macht Stehende unternommen hat, um die zügige Zustellung der Verfügung zu bewirken.

Insoweit empfiehlt sich bereits, nicht erst kurz vor Ablauf der Monatsfrist die Auslandszustellung zu veranlassen.

Ein weiteres Problem stellt sich bei Auslandszustellungen nach der einschlägigen europäischen Zustellungsverordnung: Gemäß Artikel 8 EuGVZO kann der im Ausland sitzende Gläubiger innerhalb von acht Tagen die Zustellung zurückweisen, wenn er geltend macht, dass der gerichtliche Beschluss nicht in die Amtssprache des Ortes der Zustellung übersetzt wurde. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine rein formale Vorschrift. Es besteht insoweit nicht die Möglichkeit, zum Zwecke der Zustellung geltend zu machen, die Zurückweisung sei treuwidrig, weil der Antragsgegner nachweislich der deutschen Sprache mächtig sei. Denn dies können die mit der Zustellung beauftragten Amtsträger nicht überprüfen.

Allerdings entschied das OLG Frankfurt, dass es zur Wahrung der Vollziehungsfrist ausreichend sei, entsprechend dem eingereichten Antrag zunächst einen Zustellungsversuch ohne Anfertigung von Übersetzungen zu unternehmen, wenn und soweit davon ausgegangen werden könne, dass der Empfänger die deutsche Sprache verstehe (Artikel 8 Abs. 1 EuGVZO). Verweigert der Zustellungsempfänger jedoch die Annahme und wird der Gläubiger auf die Verweigerung der Annahme hingewiesen, muss der Gläubiger zur fristgerechten Vollziehung unverzüglich auf die Zustellung einer Übersetzung der zuzustellenden Beschlüsse hinwirken.

Hieran scheiterte im konkreten Fall des OLG Frankfurt die Wahrung der Vollziehungsfrist, weil der Antragsteller zu spät reagierte.

Zur Vermeidung dieser Problematik empfiehlt sich, bereits vorsorglich und auch wenn der Antragsgegner Deutsch versteht, Übersetzungen in der Landessprache am Ort der Zustellung beizufügen.

Zur Vermeidung eventuell unnötiger Verzögerungen oder Kosten empfiehlt sich unter Umständen insoweit auch, je nach Praxis der Gerichte, darauf hinzuwirken, dass der Beschluss in aller Kürze vom Gericht begründet wird, ohne dass auf die Antragsschrift Bezug genommen wird. Denn wenn dies der Fall ist, wird in aller Regel der Beschluss mit Antragsschrift zuzustellen und daher zu übersetzen sein, was nicht unerhebliche Kosten verursachen könnte und Verzögerungen verursacht.

Denn den Moment der Unsicherheit, wenn ein Richter über die Frage der „demnächst erfolgten“ Zustellung entscheiden muss, möchte man sich als Anwalt und Mandant eher ersparen.

Alternativ zur Zustellung einer einstweiligen Verfügung im Ausland kann erwogen werden, die einstweilige Verfügung am Sitz des Antragsgegners zu beantragen.

Dies vermeidet bereits Unsicherheiten im Hinblick auf die Zuständigkeit des Gerichtes. Bei Sitz des Antragsgegners im Ausland ist die Zuständigkeit deutscher Gerichte nur dann zu begründen, wenn die in Frage stehende Rechtsposition in Deutschland beeinträchtigt (worden) ist. Dies ist nicht immer unbedingt mit dem Handlungsort gleichzusetzen, wodurch im Einzelfall die Zuständigkeit fraglich sein kann.

Je nach Fallgestaltung hat auch die Beantragung der einstweiligen Verfügung am Sitz des Antragsgegners Vorteile, weil eine von einem deutschen Gericht erlassene einstweilige Verfügung auch nur in Deutschland wirkt. Der Beschluss eines deutschen Gerichtes müsste, sollte er auch im Ausland wirken und nicht nur beschränkt mit Wirkung auf die Bundesrepublik Deutschland, im Wege des Exequatur-Verfahrens anerkannt werden. Das ist in Einzelfällen in zeitlicher Hinsicht nicht unproblematisch.

Aus diesem Gründen könnte man, z.B. im deutsch-belgischen Rechtsverkehr, daran denken, eine einstweilige Verfügung nach den Vorschriften der Artikel 584 ff. des Code Judiciaire bzw. gemäß den Vorschriften des Code de Droit économique, Titel VI. zu beantragen.

Während es allerdings in Deutschland möglich ist, manchmal bereits am Tag der Antragstellung, meistens ein oder zwei Tage nach Einreichung eines Antrages eine einstweilige Verfügung zu erhalten, sprechen wir in Belgien eher von einigen Wochen. Es kommt daher auf den Einzelfall an, wann unter Berücksichtigung der konkreten Umstände ein Vorgehen im Inland oder Ausland vorteilhaft erscheint.

Guido Imfeld
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftrecht
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Wirtschaftsmediator

Über den Autor

  • Guido Imfeld

    Guido Imfeld ist zugelassener Anwalt seit 1996 und Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht, für Handels- und Gesellschaftsrecht. Seit dem Jahre 2000 ist er auch in Belgien als Anwalt zugelassen. Zum Anwaltsprofil