Update vom 11.06.2020

“Es geht um Mil­li­ar­den”, kom­men­tiert die Aache­ner Zei­tung vom 11. Juni 2020 ein Inter­view mit unse­rem RA Tho­mas Hagels­kamp, der der­zeit im Man­dan­ten­auf­trag die Lan­des­re­gie­rung von Nord­rhein-West­fa­len ver­klagt. Die Rechts­la­ge ist aus Sicht von Herrn Hagels­kamp ein­deu­tig: Zwar sind die Maß­nah­men der Lan­des­re­gie­rung im Sin­ne der Gefah­ren­ab­wehr rich­tig, der ent­ste­hen­de wirt­schaft­li­che Scha­den bei Gas­tro­no­men und Einzel­händlern muß aber erstat­tet wer­den, da die­se juris­tisch gese­hen Nicht­stö­rer sind.

“Die Ver­pflich­tung der Geschäfts­in­ha­ber, die­sen Vor­gang durch Schlie­ßung der Geschäfts­lo­ka­le zu ver­hin­dern, ist mit­hin eine klas­si­sche Inanspruch­nahme von Nicht­störern”, so Hagels­kamp, und dem­nach nach §39 des Ordnungs­behörden­gesetzes NRW ent­schä­di­gungs­pflich­tig. Wegen der grund­sätz­li­chen Bedeu­tung und der zu erwar­ten­den hohen finan­zi­el­len Belas­tung für das Land rech­nert Tho­mas Hagels­kamp mit einer lan­gen Ver­fah­rens­dau­er. Wir hal­ten Sie an die­ser Stel­le auf dem Lau­fen­den, wenn es neue Ent­wick­lun­gen gibt.

Das kom­plet­te Inter­view mit Herrn Hagels­kamp lesen Sie hier. Der Arti­kel fin­det sich hin­ter einer Bezahl­schran­ke, basiert aber auf dem unten auf­ge­führ­ten Stand­punkt.


Geschäfts­in­ha­ber soll­ten Ansprü­che wegen Umsatz­ein­bu­ßen kurz­fris­tig anmel­den.

Seit eini­gen Wochen ist nun einem ganz über­wie­gen­den Teil von Geschäfts­in­ha­bern wegen der Coro­na-Pan­de­mie auf­ge­ge­ben, ihren Geschäfts­be­trieb ein­zu­stel­len bzw. ihre Geschäfts­lo­ka­le geschlos­sen zu hal­ten. Die Ver­pflich­tung basiert auf der Coro­na-Schutz­ver­ord­nung des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len, die ihre Rechts­grund­la­ge im Infek­ti­ons­schutz­ge­setz hat. Ziel­set­zung die­ser beträcht­li­chen Ein­schrän­kun­gen ist, der durch den Auf­ent­halt einer Viel­zahl von Kun­den in einem Geschäfts­lo­kal begrün­de­ten Gefahr einer Infi­zie­rung mit dem Coro­na­vi­rus zu begeg­nen. Dahin­ter steht die grund­sätz­lich sicher­lich nicht von der Hand zu wei­sen­de Annah­me, dass Geschäfts­lo­ka­le in erhöh­tem Maße geeig­net sind, Men­schen­an­samm­lun­gen und ins­be­son­de­re auch Kon­takt unter Men­schen ver­bun­den mit Anste­ckungs­ge­fahr zu pro­vo­zie­ren. Aktu­ell d.h. ab dem 20.04.20 ist die Coro­na-Schutz­ver­ord­nung nun modi­fi­ziert wor­den. Die Öff­nung von Geschäfts­lo­ka­len bleibt indes Ein­schrän­kun­gen unter­wor­fen, ist aber ver­gli­chen mit den ver­gan­ge­nen Wochen in erheb­lich erwei­ter­tem Umfang mög­lich.

Ob die Maß­nah­men in der Ver­gan­gen­heit bzw. die aktu­ell modi­fi­zier­ten ver­hält­nis­mä­ßig, ver­fas­sungs­kon­form etc. sind, soll hier nicht dis­ku­tiert wer­den. Fest steht in jedem Fall, dass sie in der Ver­gan­gen­heit und auch in der Zukunft bei den betrof­fe­nen Geschäfts­in­ha­bern für erheb­li­che Umsatz­ein­bu­ßen gesorgt haben bzw. noch sor­gen wer­den. Dies hat mitt­ler­wei­le in Fach­krei­sen zu einer Dis­kus­si­on dar­über geführt, ob die­se geschäft­li­chen Ein­bu­ßen ent­schä­di­gungs­fä­hig sind, ob Geschäfts­in­ha­ber mit­hin hier­für eine Ent­schä­di­gung bean­spru­chen kön­nen.

Das pri­mär maß­geb­li­che Gesetz, näm­lich das Infek­ti­ons­schutz­ge­setz, auf dem die die Ein­schrän­kun­gen kon­kre­ti­sie­ren­de Coro­na-Schutz­ver­ord­nung basiert, ver­hält sich zu die­ser Fra­ge merk­wür­dig. Dort näm­lich ist zwar ein Ent­schä­di­gungs­an­spruch gere­gelt, aber nur zuguns­ten der­je­ni­gen, die infi­ziert sind, bzw. im Ver­dacht ste­hen, infi­ziert zu sein, und denen des­we­gen die Aus­übung ihres Beru­fes ver­bo­ten ist. Der Geschäfts­in­ha­ber hin­ge­gen, der selbst kern­ge­sund ist und des­sen Geschäfts­lo­kal auch nicht im Ver­dacht steht, von Coro­na­vi­ren befal­len zu sein, der aber trotz­dem den Betrieb ein­stel­len muss, geht nach dem Gesetz leer aus. Für ihn ist kei­ne Ent­schä­di­gung vor­ge­se­hen. Dies wird zu Recht als durch­aus gro­tesk emp­fun­den.

Abhil­fe fin­det sich aber woan­ders.

Das Infek­ti­ons­schutz­recht und mit­hin auch das Infek­ti­ons­schutz­ge­setz in Ver­bin­dung mit der Coro­na-Schutz­ver­ord­nung gehört zum soge­nann­ten Gefah­ren­ab­wehr­recht. Nach dem Gefah­ren­ab­wehr­recht sind die zustän­di­gen Behör­den befugt, gegen­über soge­nann­ten Stö­rern ein­zu­schrei­ten. Stö­rer sind Per­so­nen, die eine bevor­ste­hen­de oder bereits aku­te Gefahr für die öffent­li­che Sicher­heit und Ord­nung ver­ur­sacht haben oder hier­für aus ande­ren Grün­den ver­ant­wort­lich sind. Stö­rern kann auf­er­legt wer­den, für die Ver­hin­de­rung oder Besei­ti­gung der Gefahr Sor­ge zu tra­gen. Im Zuge des­sen kommt es natur­ge­mäß zu ein­schrän­ken­den Maß­nah­men gegen­über Stö­rern, sofern sol­che zur Ver­hin­de­rung bzw. Besei­ti­gung der Gefahr erfor­der­lich und geeig­net sind.

Ein sol­ches Vor­ge­hen gegen­über Stö­rern ist grund­sätz­lich recht­mä­ßig und führt vor dem Hin­ter­grund, dass der Stö­rer für die Gefahr ver­ant­wort­lich ist, natür­lich auch nicht zu einem Ent­schä­di­gungs­an­spruch.

Nun kennt das Gefah­ren­ab­wehr­recht aber zur Gefah­ren­ver­hin­de­rung bzw. ‑besei­ti­gung nicht nur die Inan­spruch­nah­me von Stö­rern, son­dern auch von soge­nann­ten Nicht­stö­rern. Nicht­stö­rer haben, wie die Bezeich­nung schon nahe­legt, im Unter­schied zu Stö­rern, die im Raum ste­hen­de Gefahr gera­de nicht ver­ur­sacht bzw. sind auch nicht für sie ver­ant­wort­lich. Ihre behörd­li­che Inan­spruch­nah­me kommt gleich­wohl aber dann in Betracht, wenn dies, ins­be­son­de­re in eili­gen Situa­tio­nen, effi­zi­en­ter inso­fern erscheint, als hier­durch die Ver­hin­de­rung bzw. Besei­ti­gung der Gefahr allei­ne oder zumin­dest deut­lich siche­rer gewähr­leis­tet wer­den kann. Ein Schul­bei­spiel hier­für ist eine fried­li­che Demons­tra­ti­on, der eine gewalt­tä­ti­ge Gegen­de­mons­tra­tio­nen droht. Ist zu erwar­ten, dass es bei dem Zusam­men­tref­fen der Demons­tra­tio­nen zu Kra­wal­len, sprich zu einer Gefahr für die öffent­li­che Sicher­heit und Ord­nung kommt, kann die Behör­de im Ein­zel­fall ent­schei­den, die – im Übri­gen völ­lig recht­mä­ßi­ge und fried­li­che – Demons­tra­ti­on zu unter­sa­gen, wenn abseh­bar ist, dass die eigent­lich und allei­ne gewalt­tä­ti­gen Gegen­de­mons­tran­ten nicht in den Griff zu bekom­men sind. Die­se Vor­ge­hens­wei­se ist in engen Gren­zen recht­mä­ßig.

Über­tra­gen auf die durch die Coro­na-Schutz­ver­ord­nung ange­ord­ne­te Schlie­ßung von Geschäfts­lo­ka­len bedeu­tet dies fol­gen­des:

Die Anord­nung der Schlie­ßung basiert ersicht­lich nicht auf der Annah­me, dass der Geschäfts­in­ha­ber bzw. des­sen Mit­ar­bei­ter, die Kun­den in dem Geschäfts­lo­kal erwar­ten, mög­li­cher­wei­se mit dem Coro­na­vi­rus infi­ziert sind und des­halb eine Anste­ckungs­ge­fahr für Kun­den bestehen könn­te. Auch wird nicht unter­stellt, dass die Räu­me im Übri­gen „ver­seucht“ sind. Die Coro­na-Schutz­ver­ord­nung geht inso­fern nicht davon aus, dass das Geschäfts­lo­kal bzw. der Geschäfts­be­trieb selbst eine Gefahr im Sin­ne des Gefah­ren­ab­wehr­rechts begrün­det, mit­hin der Geschäfts­in­ha­ber Stö­rer ist. Ziel­set­zung ist viel­mehr ersicht­lich und aus­schließ­lich, mög­li­cher­wei­se infi­zier­ten Kun­den, die als sol­che und allei­ne die Gefahr für die öffent­li­che Sicher­heit und Ord­nung, kon­kret für die Gesund­heit ande­rer Kun­den dar­stel­len, die Mög­lich­keit zu neh­men, Geschäfts­lo­ka­le auf­zu­su­chen und dort das Virus zu ver­brei­ten. Die Ver­pflich­tung der Geschäfts­in­ha­ber, die­sen Vor­gang durch Schlie­ßung der Geschäfts­lo­ka­le zu ver­hin­dern, ist mit­hin klas­si­sche Inan­spruch­nah­me von Nicht­stö­rern.

Für die Inan­spruch­nah­me eines Nicht­stö­rers aber sieht § 39 OBG NRW aus­drück­lich eine Ent­schä­di­gungs­pflicht bzw. einen Ent­schä­di­gungs­an­spruch vor. Ent­schä­di­gungs­fä­hig sind danach die­je­ni­gen Nach­tei­le, die der Geschäfts­in­ha­ber durch die Schlie­ßung des Laden­lo­kals hin­neh­men muss, d.h. grund­sätz­lich der ent­gan­ge­ne Umsatz. Anrech­nen las­sen muss sich der Geschäfts­in­ha­ber natür­lich finan­zi­el­le Vor­tei­le, die er ggfs. auf­grund der aktu­el­len Coro­na-Hilfs­pa­ke­te in Anspruch genom­men hat.

Fazit nach all dem ist, dass ganz über­wie­gen­des dafür spricht, dass Geschäfts­in­ha­bern, die wegen Geschäfts­schlie­ßun­gen auf­grund der Coro­na-Schutz­ver­ord­nung finan­zi­el­le Ein­bu­ßen erlei­den, ein Ent­schä­di­gungs­an­spruch zusteht. Vor die­sem Hin­ter­grund ist drin­gend zu emp­feh­len, sol­che Ansprü­che mög­lichst kurz­fris­tig bei den zustän­di­gen Behör­den zumin­dest anzu­mel­den. Die kon­kre­te Berech­nung der Höhe der Ent­schä­di­gung kann ohne wei­te­res nach­ge­reicht wer­den.

Ein Letz­tes:

Nach unse­rem Ver­ständ­nis gibt es auch kei­nen Anlass, die Inan­spruch­nah­me einer sol­chen Ent­schä­di­gung als „mora­lisch bedenk­lich“ zu sehen. Wie gezeigt wird den betrof­fe­nen Geschäfts­in­ha­bern wegen einer Gefahr, für deren Auf­tre­ten sie unter kei­nem Gesichts­punkt ver­ant­wort­lich sind und zu deren Ver­brei­tung sie auch kei­nen Bei­trag leis­ten, ein Soli­darakt auf­ge­zwun­gen, der zu wirt­schaft­li­chen Ein­bu­ßen im Ein­zel­fall bis an den Rand der Exis­tenz­ge­fähr­dung oder auch dar­über hin­aus führt. Hier­für gibt es natür­lich, solan­ge die Maß­nah­men ver­hält­nis­mä­ßig blei­ben, ersicht­lich gute Grün­de. Ande­rer­seits wäre aber auch nicht nach­voll­zieh­bar, einen sol­chen erheb­li­chen Soli­dar­bei­trag ent­schä­di­gungs­los gesche­hen zu las­sen, zumal dann, wenn ande­rer­seits sogar für Gefah­ren­trä­ger, die in ihrer beruf­li­chen Tätig­keit ein­ge­schränkt wer­den, eine Ent­schä­di­gung gesetz­lich vor­ge­se­hen ist.

Tho­mas Hagels­kamp

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Über den Autor

  • Thomas Hagelskamp

    Tho­mas Hagels­kamp ist seit 1992 zuge­las­sen als Rechts­an­walt. Er ist Fach­an­walt für Bau- und Archi­tek­ten­recht und für Ver­wal­tungs­recht. Zum Anwalts­pro­fil