Teil 1: Unmög­lich­keit

 

Wenn in die­sen Zei­ten der Coro­na-Pan­de­mie Leis­tungs­stö­run­gen ange­spro­chen wer­den, kom­men not­wen­di­ger­wei­se die Begrif­fe der Unmög­lich­keit und der höhe­ren Gewalt auf. Dies ist aller­dings zu kurz gedacht. Wir möch­ten mit die­sem Bei­trag auf­zei­gen, dass der Grund­satz „pac­ta sunt ser­van­da“ die­ser Kri­se mög­li­cher­wei­se nicht unbe­schä­digt stand­hält. Denn in die­sen Zei­ten kann die Erbrin­gung ver­trag­lich geschul­de­ter Leis­tun­gen viel­fach nur unter unver­hält­nis­mä­ßi­gem wirt­schaft­li­chem Auf­wand oder gar nicht bewerk­stel­ligt wer­den. Unter dem Ein­druck der wirt­schaft­li­chen Fol­gen des Ers­ten Welt­krie­ges stell­te das Reichs­ge­richt in der weg­wei­sen­den Ent­schei­dung Dampf­lie­fer­ver­trag (RGZ 100, 129,131 f.) auf die Zumut­bar­keit der Ver­trags­er­fül­lung ab und über­nahm den rechts­his­to­ri­schen Gedan­ken der „Clau­su­la-Leh­re“ (clau­su­la rebus sic stan­ti­bus), indem es die Leh­re von dem Weg­fall der Geschäfts­grund­la­ge rich­ter­recht­lich ent­wi­ckel­te. Seit der Schuld­rechts­re­form von 2002 ist die Leh­re von der Geschäfts­grund­la­ge in § 313 BGB kodi­fi­ziert.

Der ers­te Teil des Arti­kels befasst sich mit Leis­tungs­stö­run­gen unter dem Aspekt der Unmög­lich­keit. Zuvor sol­len grund­le­gen­de Begrif­fe geklärt und die Fra­ge des auf Leis­tungs­stö­run­gen anwend­ba­ren Rechts bei inter­na­tio­na­len Fäl­len erör­tert wer­den. Im zwei­ten Teil geht es sodann um die Fra­ge, ob statt den Regeln zur Unmög­lich­keit nicht eher das Rechts­in­sti­tut des Weg­falls der Geschäfts­grund­la­ge effek­ti­ve­re und ange­mes­se­ne­re Ant­wor­ten auf die Kri­se bereit­hält.

Begriff der höhe­ren Gewalt

Die deut­sche Recht­spre­chung defi­niert den Begriff der höhe­ren Gewalt als ein von außen kom­men­des, kei­nen betrieb­li­chen Zusam­men­hang auf­wei­sen­des, auch durch äußers­te Sorg­falt nicht ver­meid­ba­res Ereig­nis. Haf­tungs­aus­schlie­ßen­de höhe­re Gewalt liegt vor, wenn der Scha­den durch ein Ereig­nis ver­ur­sacht ist, das von außen auf den Betrieb ein­wirkt (Betriebs­fremd­heit) und auch bei Anwen­dung aller Vor­sicht und Auf­merk­sam­keit nicht vor­aus­seh­bar und selbst mit allen zu Gebo­te ste­hen­den Mit­teln nicht abzu­wen­den war (Unver­meid­bar­keit). Das Merk­mal des von „außen her­rüh­ren­den Ereig­nis­ses“ soll ver­deut­li­chen, dass der Umstand weder aus dem Risi­ko­be­reich des Gläu­bi­gers der Leis­tung noch aus der betrieb­li­chen Sphä­re des Schuld­ners der Leis­tung her­rüh­ren darf.
Die­se Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen der höhe­ren Gewalt sind bei der aktu­el­len Pan­de­mie unstrei­tig zu beja­hen, aber im Gegen­satz zu den übli­chen Fäl­len der Leis­tungs­stö­run­gen auf­grund höhe­rer Gewalt nicht nur in der Sphä­re einer der bei­den Ver­trags­part­ner, son­dern nun­mehr in vie­len Fäl­len auf bei­den Sei­ten. Die Rei­se­bran­che illus­triert dies anschau­lich: der Hotel­be­trieb ist geschlos­sen und kann sei­ne Leis­tung nicht erbrin­gen, der Rei­sen­de kann und darf nicht mehr anrei­sen. Nicht umsonst geht die deut­sche Bun­des­kanz­le­rin davon aus, dass die­se Kri­se mit kei­nem Ereig­nis seit dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs ver­gleich­bar ist.

Die Lock­down- und Shut­down-Maß­nah­men betref­fen auf­grund der grund­le­gen­den Ein­schrän­kun­gen der wesent­li­chen Grund­frei­hei­ten die meis­ten, wenn nicht alle Lebens­be­rei­che. Sie füh­ren zu einer in der Nach­kriegs­zeit nie dage­we­se­nen Zahl an gleich­zei­tig und welt­weit auf­tre­ten­den Leis­tungs­hin­der­nis­sen: Aus­fal­len­de Ver­an­stal­tun­gen, stor­nier­te Rei­sen und Flü­ge, geschlos­se­ne Gren­zen, Eng­päs­se und Aus­fäl­le in glo­ba­len Lie­fer­ket­ten, Mit­ar­bei­ter, ja gan­ze Betrie­be, die unter Qua­ran­tä­ne ste­hen, still­ge­leg­te Gemein­schafts­ein­rich­tun­gen sowie Aus­geh­be­schrän­kun­gen und Kon­takt­sper­ren etc..

Pac­ta sunt ser­van­da vs. Weg­fall der Geschäfts­grund­la­ge

Der Grund­satz der Ver­trags­treue (pac­ta sunt ser­van­da) gelangt an die­ser Stel­le an sei­ne Gren­ze: Die öffent­lich-recht­li­chen Beschrän­kun­gen in Gestalt der Sani­tär­maß­nah­men zur Bekämp­fung des Virus füh­ren zu neu­en Fall­grup­pen im Rah­men der Unmög­lich­keit (§ 275 Abs. 1 BGB), der Unzu­mut­bar­keit der Leis­tungs­er­brin­gung (§ 275 Abs. 2, 3 BGB) sowie vor allem der Stö­rung der Geschäfts­grund­la­ge (§ 313 BGB). Das recht­li­che Koor­di­na­ten­sys­tem ist an die Kri­se anzu­pas­sen und nach zu jus­tie­ren, all­zu­mal im inter­na­tio­na­len Wirt­schafts­recht.

Leis­tungs­stö­rung und anwend­ba­res Recht bei inter­na­tio­nal Rechts­fäl­len

Leis­tungs­stö­run­gen in einem Ver­trags­ver­hält­nis sind nach dem Recht, das auf den Ver­trag ins­ge­samt anwend­bar ist, zu beur­tei­len. Gemäß Art. 4 Abs. 4 Rom I‑Verordnung unter­lie­gen Ver­trä­ge dem Recht des Staa­tes, in dem die Par­tei, die die ver­trags­cha­rak­te­ris­ti­sche Leis­tung zu erbrin­gen hat, ihren Sitz hat. Art. 4 Abs. 1 Rom I‑Verordnung ent­hält Regel­bei­spie­le, wonach Kauf­ver­trä­ge über beweg­li­che Sachen dem Recht des Staa­tes unter­lie­gen, in dem der Ver­käu­fer sei­nen gewöhn­li­chen Auf­ent­halt hat; Dienst­leis­tungs­ver­trä­ge (dazu gehö­ren auch Werk­ver­trä­ge) dem Recht des Staa­tes, in dem der Dienst­leis­ter sei­nen gewöhn­li­chen Auf­ent­halt hat etc. Gemäß Art. 3 Rom I‑Verordnung kön­nen die Par­tei­en eine freie Rechts­wahl tref­fen. Im Bereich des gewerb­li­chen Kauf­rechts führt die Anwend­bar­keit des Rechts eines Staa­tes, der das UN-Kauf­recht rati­fi­ziert hat, zu des­sen Anwend­bar­keit, es sei denn, des­sen Anwend­bar­keit wird aus­drück­lich aus­ge­schlos­sen (Art. 6 CISG).

Bei Ver­brau­cher­ge­schäf­ten kommt abseits der Regel­bei­spie­le Art. 4 oder einer Rechts­wahl gemäß Art. 3 Rom I‑Verordnung die Anwen­dung des Rechts des Lan­des, in dem der an dem Geschäft betei­lig­te Ver­brau­cher sei­nen Wohn­sitz hat, infra­ge wenn der Unter­neh­mer sei­ne geschäft­li­chen Akti­vi­tä­ten in irgend­ei­ner Wei­se auf das Gebiet des Bun­des­lan­des des Ver­brau­chers im Sin­ne von Art. 6 Rom I‑Verordnung aus­rich­tet (zu den Kri­te­ri­en des Aus­rich­tens sie­he die Ent­schei­dun­gen des EuGH in den Rechts­sa­chen Pam­mer, Alpen­hof, Mühl­leit­ner und Emrek).

Art. 12 Rom I‑Verordnung ver­hält sich über den Umfang des Gel­tungs­be­reichs des anzu­wen­den Rechts, wonach das gemäß der Ver­ord­nung auf einen Ver­trag anzu­wen­den­de Recht auch die Fra­ge der Erfül­lung der durch den Ver­trag begrün­de­ten Ver­pflich­tun­gen, die Fol­gen der voll­stän­di­gen oder teil­wei­se Nicht­er­fül­lung der Ver­pflich­tun­gen und die ver­schie­de­nen Arten des Erlö­schens der Ver­pflich­tun­gen umfasst. Die Fra­ge von Leis­tungs­stö­run­gen ist daher Teil des Ver­trags­sta­tuts, die in die­sem Bei­trag auf der Grund­la­ge des deut­schen Rechts erläu­tert wer­den. Ein spä­ter fol­gen­der Bei­trag wird sich mit die­ser Fra­ge auf der Grund­la­ge des bel­gi­schen und des UN-Kauf­rechts aus­ein­an­der­set­zen.

Hoheit­li­che Coro­na-Maß­nah­men als Ein­griffs­nor­men

Die staat­li­chen Regeln und Maß­nah­men zur Seu­chen­be­kämp­fung sind unschwer als öffent­lich-recht­li­che Ein­griffs­nor­men im Sin­ne von Art. 9 Rom I‑Verordnung, zu qua­li­fi­zie­ren, weil sie zwin­gen­de öffent­lich-recht­li­che Belan­ge ver­fol­gen. Die­se Maß­nah­men füh­ren zu Leis­tung Erschwer­nis­sen oder Leis­tungs­hin­der­nis­sen.

Dabei ist jedoch zu dif­fe­ren­zie­ren: Ein­griffs­nor­men des deut­schen Rechts sind in Deutsch­land auf­grund von Art. 9 Abs. 1 Rom‑1 Ver­ord­nung stets anzu­wen­den. Ein­griffs­nor­men des Lan­des, in dem die durch den Ver­trag begrün­de­ten Ver­pflich­tun­gen erfüllt wer­den sol­len, kön­nen beach­tet wer­den, soweit die­se Ein­griffs­nor­men die Erfül­lung des Ver­tra­ges unrecht­mä­ßig wer­den las­sen. Art. 9 Abs. 3 Rom‑1 Ver­ord­nung lässt daher bezüg­lich aus­län­di­scher Nor­men einen Ermes­sens­spiel­raum zu, wobei Art und Zweck die­ser Nor­men sowie die Fol­gen zu berück­sich­ti­gen sind, die sich aus der Anwen­dung oder Nicht­an­wen­dung erge­ben wür­den. Dies ist im Ein­zel­fall zu prü­fen, wobei wir aller­dings davon aus­ge­hen, dass Über­ein­stim­mung bestehen dürf­te, dass zum Bei­spiel Rei­se­ver­bo­te, Qua­ran­tä­ne­maß­nah­men, Pro­duk­ti­ons- und Export­ver­bo­te im Aus­land, denen im Ver­gleich äqui­va­len­te Maß­nah­men im Inland gegen­über­ste­hen, im Fal­le strei­ti­ger Aus­ein­an­der­set­zun­gen vor deut­schen Gerich­ten als zu beach­ten­de Ein­griffs­nor­men qua­li­fi­ziert wür­den. Abschlie­ßend gesi­chert ist dies jedoch nicht.

Vie­le Fäl­le der Stö­rung der Leis­tungs­pflich­ten sind zur­zeit sol­che, die ihren Grund in den un- und mit­tel­ba­ren Aus­wir­kun­gen von Ein­griffs­nor­men auf Betriebs­ab­läu­fe haben. Der Unter­neh­mer kann auf­grund von Qua­ran­tä­ne­maß­nah­men, die sei­nen Betrieb oder sei­ne Mit­ar­bei­ter betref­fen, oder der auf­grund von ihm selbst im Rah­men sei­ner Für­sor­ge­pflicht als Arbeit­ge­ber ver­an­lass­ten Schlie­ßung des Betrie­bes oder ein­zel­ner Abtei­lun­gen nicht oder nicht in dem not­wen­di­gen Umfang oder nicht inner­halb des ver­trag­li­chen Zeit­fens­ters pro­du­zie­ren und lie­fern. Die Betriebs­ab­läu­fe sind nach­hal­tig gestört.

Ein wei­te­rer Anwen­dungs­be­reich der Unmög­lich­keit liegt in unter­bro­che­nen Lie­fer­ket­ten. Der durch die Glo­ba­li­sie­rung ent­stan­de­ne Wett­be­werbs- und Preis­druck zwingt Unter­neh­men zu Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen auf allen Ebe­nen ihrer Wert­schöp­fung. Die „just-in-time“-Produktion ist ein Mit­tel, um Lager­kos­ten gering zu hal­ten und die Finanz­mit­tel des Unter­neh­mens effi­zi­ent zu ver­wen­den. Die Risi­ken der „just-in-time“-Produktion lagen auch schon vor der Kri­se auf der Hand. Sie wur­den zum Bei­spiel von Gewerk­schaf­ten — dies soll kei­ne Kri­tik sein — äußerst effi­zi­ent zu geziel­ten Arbeits­kampf­maß­nah­men genutzt. Jetzt wer­den die Risi­ken und Nach­tei­le bru­tal offen­bar. Teil­wei­se füh­ren bereits Lie­fer­aus­fäl­le von soge­nann­ten 50-Cent-Pro­duk­ten zum Aus­fall gan­zer Pro­duk­ti­ons­ket­ten.

Abgren­zung der Erschwe­rung von der Unmög­lich­keit

Die Annah­me der Unmög­lich­keit der Leis­tungs­er­brin­gung liegt daher nahe. Unmög­lich­keit tritt aller­dings nicht bereits mit der Erschwe­rung der Erbrin­gung der Leis­tung, son­dern erst dann ein, wenn dem Schuld­ner die Leis­tungs­er­brin­gung unmög­lich wird.
Herr­schen­de Mei­nung in der deut­schen Recht­spre­chung ist zum Bei­spiel, dass für den Fall, dass eine Belie­fe­rung teil­wei­se mög­lich ist, der Schuld­ner zu einer antei­li­gen Belie­fe­rung aller berech­tig­ten Gläu­bi­ger ver­pflich­tet ist. Das Prin­zip „First come, first ser­ve“ wird daher in sol­chen Fäl­len außer Kraft gesetzt. Lie­fert der Schuld­ner bei abseh­ba­rer Begren­zung sei­ner Pro­duk­ti­ons­mit­tel an bestimm­te Gläu­bi­ger voll­stän­dig und bevor­zugt die­se, wäh­rend ande­re aus­fal­len, kann er sich im Ein­zel­fall gegen­über Letz­te­ren scha­den­er­satz­pflich­tig machen.

Erst bei unüber­wind­ba­ren Nach­schub- und Pro­duk­ti­ons­hin­der­nis­sen liegt nach­träg­li­che Unmög­lich­keit gemäß § 275 BGB vor. Die Unmög­lich­keit muss objek­tiv vor­lie­gen, sub­jek­ti­ve Unmög­lich­keit, befreit nicht auto­ma­tisch von der Leis­tungs­pflicht. Sie ist als Ein­re­de gel­tend zu machen und steht unter den erschwer­ten Vor­aus­set­zun­gen des § 275 Abs. 3 BGB. Der Anwen­dungs­be­reich ist auf höchst­per­sön­lich zu erbrin­gen­de Leis­tun­gen beschränkt. Liegt die­se Vor­aus­set­zung nicht vor, besteht bei sub­jek­ti­ver Unmög­lich­keit die Ver­pflich­tung zur Leis­tung fort. Eine Ver­wei­ge­rung der Leis­tung ist in der Regel dann nur nach dem Grund­satz von Treu und Glau­ben (§ 242 BGB) oder nach den Grund­sät­zen der Ände­rung oder des Weg­falls der Geschäfts­grund­la­ge (§ 313 BGB) denk­bar. Die Abgren­zung ist schwie­rig. Hel­fen kann aber der Rekurs auf die prak­ti­sche Unmög­lich­keit gemäß § 275 Abs. 2 BGB. Die Leis­tung ist phy­sisch und objek­tiv zwar noch mög­lich, aber dem Schuld­ner nicht zumut­bar. Anders als bei der objek­ti­ven Unmög­lich­keit ent­fällt die Leis­tungs­pflicht aber auch hier nicht ipso jure, son­dern muss als Ein­re­de gel­tend gemacht wer­den.

Bevor Unmög­lich­keit ange­nom­men wird, sind nach Maß­ga­be des oben ste­hen­den zunächst alter­na­ti­ve Quel­len der Belie­fe­rung und der Ersatz­be­schaf­fung bei Dritt­an­bie­tern zu prü­fen. Auf­grund des zur­zeit bestehen­den welt­wei­ten Drucks zur Auf­recht­erhal­tung der Pro­duk­ti­on ist eine sol­che Ersatz­be­schaf­fung in aller Regel nur um den Preis eines mas­si­ven Mehr­auf­wands mög­lich, weil es auf allen Ebe­nen und welt­weit zu Lie­fer­eng­päs­sen kommt. Die Ersatz­be­schaf­fung muss jedoch zumut­bar sein. Bei einem gro­ben Miss­ver­hält­nis zwi­schen den Kos­ten der Ersatz­be­schaf­fung und dem Leis­tungs­in­ter­es­se des Gläu­bi­gers kann der Schuld­ner daher gemäß § 275 Abs. 2 BGB die Ersatz­be­schaf­fung unter Hin­weis auf die prak­ti­sche Unmög­lich­keit als unzu­mut­bar ver­wei­gern. In nor­ma­len Zei­ten ist die Opfer­gren­ze, d. h. die Inkauf­nah­me des Mehr­auf­wan­des, die der Schuld­ner auf­grund der Über­nah­me des Beschaf­fungs­ri­si­kos im Rah­men des Ver­tra­ges auf sich nahm, hoch anzu­set­zen. Aller­dings wagen wir die Pro­gno­se, dass in die­ser welt­wei­ten Kri­se das Leis­tungs­in­ter­es­se des Gläu­bi­gers nied­ri­ger anzu­set­zen ist, sei es, weil sich die Maß­stä­be auf allen Sei­ten, all­zu­mal zur Ver­mei­dung einer mas­si­ven Insol­venz­wel­le ver­schie­ben oder weil der Gläu­bi­ger den Gegen­stand selbst nicht wie geplant ver­wen­den kann, zum Bei­spiel, weil ihm selbst ande­re Kom­po­nen­ten feh­len oder er auf­grund der Unter­sa­gung des Betriebs von Ver­triebs­mit­t­lern die Pro­duk­te gar nicht wei­ter ver­äu­ßern kann. Außer­dem wür­de die strin­gen­te Anwen­dung des Opfer­ge­dan­kens zu einer volks­wirt­schaft­lich nicht gewünsch­ten Preis­spi­ra­le füh­ren, wie sie zum Bei­spiel bei Schutz­mas­ken sehen.

Scha­dens­er­satz­an­sprü­che des Gläu­bi­gers der Leis­tung und Exkul­pa­ti­on

Soweit der Gläu­bi­ger der von dem Schuld­ner nicht erbrach­ten Leis­tung grund­sätz­lich zu Scha­dens­er­satz berech­tigt ist, setzt dies im deut­schen Recht des BGB und HGB gemäß § 280 BGB ein Ver­tre­ten­müs­sen vor­aus. Das Ver­tre­ten­müs­sen ist in § 276 BGB gere­gelt. Der Schuld­ner hat Vor­satz und Fahr­läs­sig­keit zu ver­tre­ten. Fahr­läs­sig han­delt, wer die im Ver­kehr erfor­der­li­che Sorg­falt außer Acht lässt.

Ein Scha­dens­er­satz­an­spruch schei­det daher aus, wenn ein Ver­tre­ten­müs­sen in die­sem Sin­ne nicht vor­liegt, d. h., wenn der Schuld­ner sich exkul­pie­ren kann. Exkul­pie­ren kann er sich in aller Regel, wenn er nach­wei­sen kann, dass ihm die Erbrin­gung sei­ner Leis­tung auf­grund behörd­li­cher Maß­nah­men ganz oder teil­wei­se unmög­lich wur­de, eine Ersatz­be­schaf­fung nicht infra­ge kommt etc.

Frag­lich ist, ob dies auch gilt, wenn der Schuld­ner ohne aus­drück­li­che behörd­li­che Anwei­sung, zum Bei­spiel im Rah­men sei­ner Arbeit­ge­ber-Für­sor­ge­pflicht die Pro­duk­ti­on ganz oder teil­wei­se ein­stellt. Aller­dings ist davon aus­zu­ge­hen, dass die Exkul­pa­ti­on dann mög­lich ist, wenn dem eine über­zeu­gen­de Risi­ko­ab­wä­gung zugrun­de liegt. Anders kann es sich jedoch im Ein­zel­fall ver­hal­ten, wenn der Arbeit­ge­ber zum Bei­spiel aus nicht nach­voll­zieh­ba­ren Grün­den die Leis­tung nicht erbringt, weil er kei­ne zumut­ba­ren Maß­nah­men für das Home Office ein­rich­tet oder er trotz der Mög­lich­keit, die Pro­duk­ti­on unter Ein­hal­tung der Vor­sichts­maß­nah­men (Ein­hal­tung eines Min­dest­ab­stand von 1,5 m) auf­recht zu erhal­ten, sol­che Maß­nah­men trotz Mög­lich­keit nicht ergreift, und die öffent­li­che Hand sei­nen Betrieb daher schließt.

Dar­le­gungs- und Beweis­last

Daher ist der Schuld­ner gut bera­ten, wenn er Maß­nah­men der öffent­li­chen Hand oder eige­ne Vor­sor­ge­maß­nah­men und sei­ne Ver­su­che der Ersatz­be­schaf­fung gut doku­men­tiert. Für das Vor­lie­gen der objek­ti­ven und vor allem der prak­ti­schen Unmög­lich­keit ist der Schuld­ner beweis­pflich­tig. Denn die Nicht­leis­tung kann zu erheb­li­chem Scha­dens­er­satz ver­pflich­ten. Der Rück­tritt von dem Ver­trag dürf­te als sol­cher noch ver­kraft­bar sein, weil ja der Schuld­ner, der sich auf Unmög­lich­keit beruft, zunächst („nur“) sei­nen Gegen­leis­tungs­an­spruch ver­liert. Anders ver­hält es sich aller­dings, wenn der Gläu­bi­ger der Leis­tung Scha­dens­er­satz für Betriebs­aus­fall­schä­den oder wegen Gewinn­ver­lusts wegen nicht oder zu spät erbrach­ter Leis­tung ver­langt. Leis­tungs­hin­der­nis­se im Rah­men der Coro­na-Kri­se dürf­ten aller­dings in der Regel als unvor­her­seh­ba­re Stö­run­gen bei der Selbst­be­lie­fe­rung gel­ten und daher die Exkul­pa­ti­on des Schuld­ners gemäß § 275 BGB bzw. Art. 79 CISG erlau­ben.

Erwar­tungs­ge­mäß dürf­ten aller­dings die Anfor­de­run­gen an die Dar­le­gung- und Beweis­last des Schuld­ners für Leis­tungs­er­schwer­nis­se im zeit­li­chen Rah­men der Coro­na-Kri­se in der Zukunft von der Recht­spre­chung nicht all­zu hoch ange­setzt oder sogar in Ein­zel­fäl­len als gerichts­be­kannt vor­aus­ge­setzt wer­den, vor allem, wenn die prak­ti­sche Unmög­lich­keit im Raum steht. Aber am Ende des Tages wird es immer auf den Ein­zel­fall ankom­men.

Zeit­wei­li­ge Unmög­lich­keit, Rück­tritt vom Ver­trag

Lie­fer­eng­päs­se sind in aller Regel tem­po­rä­rer Natur und wir alle haben die Hoff­nung, dass es sich so auch bei der Coro­na-Kri­se ver­hält. Des­halb wird der Schuld­ner sich in aller Regel zunächst vor­über­ge­hend dar­auf beru­fen, die Leis­tung nicht wie ver­trag­lich geschul­det erbrin­gen zu kön­nen. Vie­le die­ser tem­po­rä­ren Leis­tungs­hin­der­nis­se wer­den mög­li­cher­wei­se auf­grund zeit­li­cher Vor­ga­ben zu einer end­gül­ti­gen objek­ti­ven Unmög­lich­keit der Leis­tungs­er­brin­gung, all­zu­mal bereits fak­tisch, wenn der Gläu­bi­ger von sei­nem Recht Gebrauch macht, von dem Ver­trag auf­grund des Bestehens der Unmög­lich­keit unter den Vor­aus­set­zun­gen des § 323 BGB oder beim Fix­han­dels­kauf gemäß § 376 HGB von dem Ver­trag zurück­zu­tre­ten.

Aber auch hier gilt, dass der Schuld­ner gut bera­ten ist, zu prü­fen und zu doku­men­tie­ren, ab wann, ins­be­son­de­re unter Berück­sich­ti­gung der Opfer­gren­ze im Hin­blick auf zumut­ba­re alter­na­ti­ve Lie­fer­quel­len, das tem­po­rä­re Leis­tungs­hin­der­nis weg­fällt.

Recht­li­che Unmög­lich­keit der Lie­fe­rung bei Export­be­schrän­kun­gen

Die Unmög­lich­keit der Leis­tungs­er­brin­gung bezüg­lich von Gütern, die staat­lich ange­ord­ne­ten Aus­fuhr­be­schrän­kun­gen unter­lie­gen, liegt auf der Hand. Denn die Erfül­lung von Leis­tungs­pflich­ten, die gegen der­ar­ti­ge Anord­nun­gen ver­sto­ßen wür­den, ist für den Zeit­raum ihrer Gel­tung gemäß § 275 BGB recht­lich unmög­lich. Dies gilt auch für aus­län­di­sches Export­kon­troll­recht, weil die­ses als soge­nann­tes local datum im Sin­ne einer aus­län­di­schen Ein­griffs­norm gemäß Art. 9 Abs. 3 Rom I‑Verordnung zu berück­sich­ti­gen ist.

Lesen Sie hier den zwei­ten Teil wei­ter.

Gui­do J. Imfeld

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